Wo die Nelkenbaeume bluehen
„Nein, Mack, tu das nicht. Ich bin froh, dass du lebst.“
Ein zögerliches Lächeln legte sich auf seine Lippen. Dann zog er Annemarie in seine Arme und hielt sie einfach nur.
Sie schloss die Augen, erleichtert, dass ein wenig von der eisigen Kälte, die ihr Herz umklammert gehalten hatte, von ihr wich.
Mittelmeer, nahe der Straße von Gibraltar, Februar 1888
Henriette stand an der Reling der Prinz Leopold und blickte versonnen in die Ferne. Der Wind spielte mit ein paar ihrer dunkelblonden Locken, die sich aus dem Tuch gelöst hatten, das sie um den Kopf geschlungen trug. Vor ein paar Tagen hatten sie den Suezkanal hinter sich gelassen und näherten sich nun der Meerenge von Gibraltar. Lange würde es nicht mehr dauern, bis sie Deutschland erreichten.
Hamburg.
Sie konnte sich noch daran erinnern, als sei es erst gestern gewesen, wie sie gemeinsam mit Celia und Annemarie an Bord der Fortuna gegangen war. Gleichzeitig hatte sie das Gefühl, heute ein vollkommen anderer Mensch zu sein. Aber war das wirklich verwunderlich? Nach allem, was sie erlebt hatte, konnte sie nicht mehr die sein, die sie einmal gewesen war.
Als sie spürte, wie ihr die Tränen kamen, schloss sie die Augen. Sie dachte an Annemarie und daran, wie schrecklich sie sich fühlen musste. Nathan tot, ihr Leben ein Scherbenhaufen. Doch sosehr sie sich auch wünschte, bei der Freundin sein und etwas für sie tun zu können – sie wusste, dass Mack recht gehabt hatte. Wäre sie auf Sansibar geblieben, dann hätte es sie alle gefährdet. Es war die einzig richtige Entscheidung gewesen, zu gehen.
Mack würde auf Annemarie aufpassen. Er war ein guter Mann, und er teilte mit ihr die Trauer um Nathan, den sie – jeder auf seine Weise – geliebt hatten.
„Fräulein Lüderitz?“
Sie drehte sich um, als sie Khamisis Stimme hinter sich vernahm. Auch er war gezwungen gewesen, Sansibar zu verlassen, dafür hatten Celia und Jonathan Bennett gesorgt. Henriette hatte vor, gemeinsam mit ihm, wenn sie Hamburg erreichten, einen Mann aufzusuchen, von dem sie gelesen hatte: Heinrich Bluhm. Er war ein erklärter Gegner der Sklaverei, daher hoffte Henriette, dass Bluhm ihnen beiden helfen würde. Khamisi dabei, ein neues Leben in der Fremde anzufangen, und Henriette, ihren Widerstand gegen den Menschenhandel und die Verschleppung fortzusetzen.
„Wie oft muss ich Sie noch bitten, Henriette zu mir zu sagen?“, fragte sie mit einem milden Lächeln. „Was haben Sie auf dem Herzen, Khamisi?“
„Ich muss immer wieder an Subira und Faraji denken“, erklärte der ältere Mann. Er runzelte die Stirn. „Die beiden sind noch so jung … Glauben Sie, es geht ihnen gut?“
Unter den gegebenen Umständen hatte Khamisi die Geschwister nicht zur Majestic bringen können. Das Risiko war einfach zu groß gewesen. Die Mitglieder von Henriettes Gruppe hatten sich der beiden angenommen. Sie würden sie verstecken, bis Gras über die Sache gewachsen war, und ihnen dann entweder eine neue Identität als freie Schwarze beschaffen oder sie außer Landes bringen.
Das alles lag nicht mehr in Henriettes Hand. Trotzdem nickte sie. „Ich bin davon überzeugt, dass sie sich in Sicherheit befinden.“
Ganz im Gegensatz zu ihren zahllosen Leidensgenossen, die von Sansibar aus in alle Welt verschleppt wurden oder auf den heimischen Plantagen ein menschenunwürdiges Dasein fristeten.
Einmal mehr fühlte Henriette, wie heiße Wut in ihr aufstieg. Wut auf die Sklavenfänger und all die Menschen, die angesichts dieser Ungerechtigkeit tatenlos wegschauten. Und auf ihre eigene Hilflosigkeit, etwas dagegen zu unternehmen.
Doch sie würde nicht aufgeben.
Niemals.
Vielleicht war Heinrich Bluhm der Mann, der sie bei ihrem Kampf unterstützen würde, vielleicht auch nicht. Die Zeit würde es zeigen.
„Komm“, sagte sie und legte Khamisi eine Hand auf die Schulter. „Lass uns schauen, ob wir in der Kombüse etwas zu essen auftreiben können. Ich sterbe vor Hunger.“
Der alte Mann nickte. „Danke“, sagte er, und als sie ihn fragend anschaute: „Für alles.“
Jambiani, Sansibar, Februar 1888
Es regnete.
Kurz nachdem das Haus bis auf die Grundmauern niedergebrannt war, hatten sich die Schleusen des Himmels geöffnet und eine wahre Sintflut über der Plantage ausgeschüttelt, und das, obwohl die Regenzeit eigentlich erst in einem Monat begann. Und auch jetzt, über eine Woche später, regnete es noch immer in Strömen. Doch Celia nahm es kaum wahr.
Sie stand einfach nur da,
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