Wo die Nelkenbaeume bluehen
tatsächlich existierten, erschien ihr wie ein Wunder, und sie war versucht, sich zu kneifen, um sicherzugehen, dass sie nicht träumte.
„Sie machen wohl Scherze!“, stieß sie atemlos hervor. „Das hier muss das Paradies sein!“
„Das ist es auch“, entgegnete er, doch schon im nächsten Moment schien sich eine düstere Wolke über seine Züge zu legen. „Aber auch das Paradies hat seine Schattenseiten …“
Kurz spielte sie mit dem Gedanken, nachzufragen, was er damit meinte, ließ es dann aber doch bleiben. Es ging sie nichts an. Das Schicksal hatte dafür gesorgt, dass ihre Wege sich kreuzten, doch im Grunde kannten sie einander nicht. Außerdem hatte sie genügend eigene Probleme, auch ohne dass sie sich zusätzlich mit denen eines fast Wildfremden belastete.
Dennoch berührte es etwas tief in ihr, ihn so zu sehen. Warum, das konnte sie sich selbst nicht erklären. Und sie wollte es lieber auch gar nicht erst versuchen.
„Kommen Sie“, sagte sie übertrieben fröhlich. „Wenn ich nicht bald etwas zu essen bekomme, sterbe ich vor Hunger.“
Er lächelte wieder, und jede Spur von Bitterkeit war wie weggewischt, fast so, als hätte es sie nie gegeben. Doch Lena wusste, was sie gesehen hatte. Und sie musste sich zwingen, nicht darüber nachzugrübeln, welche Dämonen ihn verfolgen mochten.
Der Besitzer des Starfish Beach begrüßte Stephen überschwänglich, als sie das Restaurant betraten. Sie wechselten ein paar Worte auf Kiswahili, ehe Stephen – vermutlich aus Rücksicht auf Lena – ins Englische überwechselte.
„Das ist Benjamin Mtubu“, erklärte er. „Er war so freundlich, für uns die Terrasse zu reservieren, sodass wir beim Essen den wunderbaren Ausblick aufs Meer genießen können.“
„Die ganze Terrasse?“, fragte Lena ungläubig nach. „Aber das wäre doch nicht nötig gewesen!“
„Es ist ein Zeichen seiner Wertschätzung“, antwortete Stephen. Er zwinkerte Lena verschwörerisch zu. „Davon abgesehen hat die Touristensaison gerade erst begonnen, sodass er es sich erlauben kann, einen Teil seines Restaurants für einen alten Freund, freizuhalten. Von den Einheimischen können sich nur die wenigsten einen Besuch im Starfish Beach erlauben, auch wenn Benjamin für sie natürlich andere Preise hat als für Touristen oder auch für Sie und mich.“
Überrascht hob Lena eine Braue. „Zählen Sie denn nicht auch zu den Einheimischen? Sie leben doch schon lange auf Sansibar, oder nicht?“
Er nickte. „Schon mein ganzes Leben lang. Ich bin hier geboren und aufgewachsen, ebenso wie mein Vater und mein Großvater vor mir … Aber für echte Sansibarer wird jemand wie ich immer ein mgeni – ein Fremder – sein, ganz gleich, wie lange wir hier leben. Und das ist auch verständlich angesichts der sehr zwiespältigen Geschichte, die uns Europäer mit den Swahili verbindet.“
Sie runzelte die Stirn. „Was meinen Sie damit?“
„Viele der Menschen, die heute hier auf Sansibar leben, sind Nachfahren ostafrikanischer Sklaven. Zwar waren es vor allem arabische Händler aus dem Oman, die den Sklavenmarkt kontrollierten. Aber lange Zeit haben auch wir Europäer uns nicht unbedingt von unserer besten Seite gezeigt. Portugal beispielsweise war lange Zeit einer der Haupthandelspartner der Sklavenverkäufer aus dem Oman.“ Er zuckte die Schultern. „Nun, mir macht es jedenfalls nichts aus, dass ich für dieselben Waren und Dienstleistungen immer ein wenig mehr bezahlen muss, schließlich verfüge ich ja auch über größere Mittel.“ Er schmunzelte. „Das bedeutet allerdings nicht, dass ich nicht feilschen würde. Das gehört hier nämlich zum guten Ton.“
Fasziniert hörte Lena ihm zu. Es gab so vieles zu entdecken und zu erfahren. Jeden Tag, so schien es ihr, lernte sie etwas Neues dazu, was einerseits schön war, ihr aber auch vor Augen hielt, wie wenig sie eigentlich über die Mentalität und das Leben auf Sansibar wusste. War ihr Vorhaben, sich hier eine Existenz aufzubauen, unter diesen Umständen nicht mehr als blauäugig und naiv?
Stephen hatte nicht zu viel versprochen. Benjamin führte sie zu ihrem Tisch, von dem aus man zusehen konnte, wie die Sonne langsam am Horizont im Meer versank. Die Einrichtung des Restaurants war einfach, aber gemütlich. Auf den Tischen lagen Decken mit bunten afrikanischen Mustern, und die Stühle bestanden aus dunklem Holz und geflochtenen Kokosblättern. Direkt am Geländer der Terrasse blühten Hibiskus und Wachsblumen in üppiger
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