Wo die Nelkenbaeume bluehen
sie überhaupt nicht vorankommen. Immer wieder stockte der Verkehr, obwohl sein Angestellter sein Möglichstes gab, um zügig voranzukommen, und ausgiebig von der Hupe Gebrauch machte. Trotzdem ging es Stephen nicht schnell genug. Die Zeit zerrann ihm wie Sand zwischen den Fingern. Immer wieder schaute er auf seine Uhr. Täuschte es, oder bewegten sich die Zeiger schneller als sonst?
„Können Sie nicht noch ein bisschen schneller fahren?“, drängelte er, obwohl ihm klar war, dass er Unmögliches verlangte. „Ich habe es wirklich eilig!“
Kurzzeitig kam der Verkehr dann sogar ganz zum Erliegen, da vor ihnen auf der Straße ein Pferdekarren umgekippt war und ein gutes Dutzend Hühner wild gackernd herumflatterte.
So kam es, dass sie erst gute zwanzig Minuten später ihr Ziel erreichten. Stephen ahnte bereits, dass es zu spät war, doch er wollte es nicht wahrhaben. Er scheuchte den zwischenzeitlich verstummten Hashim aus dem Wagen und lief in das Gebäude – einen zur Versteigerungshalle umfunktionierten Gemeindesaal – just in dem Moment, da der Auktionator verkündete: „Und der Zuschlag für Bennett’s Spice and Clove Farm geht an unsere Höchstbietende, Miss Lena Bluhm.“
„Nein!“, rief Stephen laut. Alle Köpfe drehten sich nach ihm um, als seine Stimme durch den Saal hallte. „Ich möchte auch noch ein Gebot abgeben!“
Doch der Mann hinter dem hohen Holzpult schüttelte bedauernd den Kopf. „Es tut mir leid, Sir, aber die Auktion ist abgeschlossen. Miss Bluhm ist die rechtmäßige neue Besitzerin der Gewürzfarm.“
7. KAPITEL
Mji Mkongwe, Sansibar, November 1887
Innerhalb von vier Monaten, die seit ihrer Ankunft auf Sansibar vergangen waren, war das Haus der Familie Rosenthal für Annemarie zu ihrem Zuhause geworden. Sie liebte die verwinkelten Korridore und die mit üppigen Schnitzereien verzierten dunklen Möbel, die prächtigen Orientteppiche, die jeden Schritt verschluckten, die schweren Samtvorhänge und Draperien, die das Licht ausschlossen, sobald sie zugezogen wurden. Alles in diesem Haus, jeder Winkel, jede Ecke, ja sogar der Staub atmete Geschichte.
Annemarie hatte ihr eigenes Zimmer, dessen Fenster zum Innenhof hinausreichte. Jeden Morgen kam Zorah, ihr Mädchen, half ihr beim Ankleiden und bürstete ihr das lange goldblonde Haar, ehe sie es zu einem ordentlichen Zopf flocht, der Annemarie über den halben Rücken reichte.
Zorah war noch immer schüchtern, vor allem Albrecht, aber auch Wilhelm gegenüber. Doch wenn Annemarie mit ihr allein war, dann zeigte sie, dass sich unter der demütigen Fassade ein hübsches junges Mädchen voller Hoffnungen und Träume verbarg. Manchmal hatte sie fast das Gefühl, in Zorah eine Freundin gefunden zu haben. Doch dann wurde ihr immer wieder vor Augen geführt, dass sie aus vollkommen unterschiedlichen Welten stammten. Und niemand konnte sie besser auf den Boden der Tatsachen zurückholen als Albrecht.
Seit dreieinhalb Monaten waren Albrecht und sie nun verheiratet. Ihr Schwiegervater hatte es sich nicht nehmen lassen, ein rauschendes Fest zu veranstalten. Die ganze bessere Gesellschaft von Sansibar war eingeladen gewesen.
„Du sollst die Menschen kennenlernen, mit denen du in Zukunft zu tun hast, mein Mädchen“, hatte Laurenz augenzwinkernd zu ihr gesagt. „Schließlich will ich doch, dass du dich hier möglichst rasch heimisch fühlst.“
Was ihren Schwiegervater betraf, konnte Annemarie sich wirklich nicht beschweren. Er war freundlich und zuvorkommend und hatte ihr von Anfang an das Gefühl gegeben, willkommen zu sein.
Ganz im Gegensatz zu Albrecht.
Er zeigte kein gesteigertes Interesse an seiner Ehefrau. Seit der Hochzeit war er gerade einmal in zwei Nächten in ihr Zimmer gekommen. Nicht dass Annemarie besonders unglücklich darüber war, denn sie fühlte sich nicht gerade zu ihm hingezogen.
Wenn er überhaupt einmal das Wort an sie richtete, dann war er kurz angebunden und schroff. Annemarie wusste nicht, was sie ihm getan hatte. Vermutlich war sie ihm einfach nur gleichgültig. Sein Vater hatte von ihm verlangt, dass er heiratete. Für ihn war sie demnach nur ein lästiges Anhängsel. Kein Wunder, dass er keinen besonders großen Enthusiasmus an den Tag legte, ihr das Leben auf Sansibar angenehm zu machen.
Versonnen blickte Annemarie zum Fenster ihres Zimmers hinaus. Draußen herrschte emsiges Treiben wie in einem Ameisenhaufen. Karren mit Gewürzen, Früchten oder Kaffee wurden in den Kontor gebracht und kamen leer
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