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Wo die Nelkenbaeume bluehen

Wo die Nelkenbaeume bluehen

Titel: Wo die Nelkenbaeume bluehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Danielle Stevens
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verloren?

10. KAPITEL
    Das kleine Motorboot schoss durch die sanfte Dünung. Der Wind zupfte an Lenas Haar, und dank des Baldachins, der sie vor direkter Sonneneinstrahlung schützte, war die Hitze erträglich. So weit das Auge reichte, sah sie endloses, azurblaues Meer, das am Horizont mit dem Himmel zu verschmelzen schien. Die Küstenlinie war nur noch als verschwommener, grünlich schimmernder Streifen zu erkennen.
    Stephen stand am Ruder des Bootes, seine Miene vollkommen entspannt. Bei dem Gedanken daran, mit welcher Lässigkeit er vorhin wieder an Bord geklettert war und wie unbeholfen sie sich im Gegensatz zu ihm angestellt hatte, musste sie unwillkürlich leise lachen.
    Er bemerkte dies sofort und erkundigte sich schmunzelnd: „Was ist so lustig?“
    „Eigentlich nichts“, antwortete sie. „Und gleichzeitig alles.“ Sie zuckte lächelnd die Schultern, als er fragend eine Braue hob. „Mein ganzes Leben hat sich um hundertachtzig Grad gedreht, seit ich auf Sansibar angekommen bin. Während in den vergangenen sechs Monaten alles zu stagnieren schien, entwickelt sich jetzt alles so rasant, dass ich kaum noch hinterherkomme.“
    „Ist das gut?“ Er neigte den Kopf ein Stück zur Seite. „Oder schlecht?“
    Darüber musste Lena kurz nachdenken. „Vorwiegend gut, würde ich sagen. Ich glaube nicht, dass ich noch lange so hätte weitermachen können wie zuletzt in Berlin. Ich …“ Sie schüttelte den Kopf, unfähig, ihre Gedanken in Worte zu fassen. „Kennst du das Gefühl, wenn etwas geschieht, das dir den Boden unter den Füßen wegreißt?“ Ihr Lächeln verblasste, und in ihrer Kehle bildete sich ein Kloß, der sich auch durch heftiges Schlucken nicht vertreiben ließ.
    „Du sprichst von deinem Verlobten, nicht wahr?“, fragte er behutsam nach. „Möchtest du darüber reden?“
    Lena war überrascht, wie einfühlsam seine Stimme klingen konnte. Und zu ihrer eigenen Verwunderung verspürte sie tatsächlich das Bedürfnis, sich Stephen zu öffnen. Es war schließlich auch kein Geheimnis, was geschehen war. Sie atmete tief durch. „Andy und ich, wir waren glücklich miteinander. Natürlich gab es auch bei uns Streitereien, wie in jeder anderen Beziehung wohl auch. Aber ich wusste, dass er der Mann ist, mit dem ich alt werden will. Dann passierte der Unfall …“ Ihre Lippen verzogen sich zu einem schmerzlichen Lächeln. „Als ich im Krankenhaus erwachte, konnte ich zunächst gar nicht begreifen, was geschehen war. Aber mir blieb ein Funken Hoffnung, denn Andy lag im Koma, und die Ärzte sagten, dass noch Hoffnung für ihn bestand. Sechs Monate – genau gesagt 189 Tage und Nächte – verbrachte ich an seiner Seite und versuchte, ihn mit meiner Stimme und meiner Liebe zurück ins Leben zu holen.“
    An diesem Punkt versagte ihr die Stimme. Die Erinnerungen brachen über sie herein wie eine gewaltige Flutwelle und rissen die Schutzmauern ihrer Seele einfach fort. Sie wusste selbst nicht, wie es ihr gelang, die Tränen zurückzuhalten.
    „Das tut mir leid“, hörte sie Stephen leise sagen.
    Sie schloss die Augen, doch die schrecklichen Bilder, die sie unwillkürlich vor sich sah, ließen sie sie wieder aufschlagen. Sie richtete den Blick in die Ferne. „Als er starb, war mir, als hätte ich einen Teil von mir selbst verloren. Ich tobte, weinte, schrie, doch nichts konnte mir Andy wieder zurückbringen. Und noch schlimmer als der erste heiße Schmerz war die Taubheit, die danach von mir Besitz ergriff. Ich war nicht viel mehr als ein Schatten. Ich stand morgens auf, doch ich wusste nicht, warum. Das alles kam mir so schrecklich sinnlos vor. Warum sollte ich weitermachen, wo mir alles, was mir einmal etwas bedeutet hat, genommen worden war?“
    Zu ihrem Erstaunen sagte Stephen nach einem kurzen Moment des Schweigens: „Ich glaube, ich weiß, wovon du sprichst.“
    Sie blinzelte irritiert. „Wirklich? Hast du denn auch jemanden verloren?“ Als er zögerte, schüttelte sie den Kopf. „Entschuldige, das geht mich nichts an. Ich hätte gar nicht fragen sollen.“
    „Schon gut“, entgegnete er mit einem leicht gequält wirkenden Lächeln. „Es ist einfach nur so, dass ich … Ich rede nicht oft darüber. Und im Grunde lässt es sich auch nicht mit dem vergleichen, was du erlebt hast, denn meine Schwester ist noch am Leben.“
    „Du hast eine Schwester?“, fragte sie überrascht. „Das wusste ich gar nicht.“
    „Nun, ich nehme an, dass es vieles gibt, was du nicht über mich weißt.“

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