Wo die toten Kinder leben (German Edition)
beantworten, was ich wissen will. Die Frage ist nur: Willst du das auf dich nehmen, oder sagst du mir gleich die Wahrheit?“
Die Geräusche, die er von sich gab, wurden zu einem Winseln.
Ohne Hast holte ich Block und Stift aus dem Wagen. Ich setzte mich neben ihn auf den Boden und schrieb eine lange Liste.
Ich wusste, dass er keinen seiner Mittäter vergessen würde.
33
I ch ließ meinen Angreifer kurzerhand am Weiher zurück, nachdem ich ihm die Fesseln durchtrennt hatte. Sollte er doch versuchen, unterzutauchen. Über kurz oder lang würde ihn die Polizei finden. Das war nicht mehr mein Problem. Ich hatte bekommen, was ich brauchte.
Jetzt war ich Richtung Stadt unterwegs. Auf dem Beifahrersitz lag der Block mit den Namen der Männer, die an dem Missbrauch der Kinder beteiligt gewesen waren. Wieder und wieder warf ich einen Blick darauf, ungläubig über die schiere Anzahl der Personen.
Ich fuhr nur mit der rechten Hand. Meine linke Seite schmerzte. Vorsichtig tastete ich mich ab und stellte fest, dass sie blutig war. Normalerweise hätte ich mich zuhause darum gekümmert, aber in diesem Moment erinnerte ich mich an Frau Dr. Hofmann. Sie hatte Paul sehr gut versorgt und da ich mich gerade in ihrer Nähe befand, bog ich kurzentschlossen auf die Landstraße ab und hielt schließlich vor ihrem Haus an.
Die Holzskulpturen in ihrem Garten schienen auf mich gewartet zu haben. Sie wirkten wie kleine verspielte Wächter, die sich darauf freuten, Besuch zu bekommen.
Im Haus brannte kein Licht. Ich klingelte nur einmal, wartete eine Weile und wollte mich unverrichteter Dinge gerade wieder abwenden, als ich eine Bewegung im Garten bemerkte, die auf mich zu kam. Meine Rechte fand den Griff meiner Pistole. Aber dann ließ ich die Waffe wieder los. Ich hatte die Person erkannt. Frau Dr. Hofmann stand vor mir.
Sie trug einen dunkelblauen Jogginganzug und hatte die Haare straff nach hinten gebunden. Um ihren Hals baumelte ein Mundschutz. Ein eigenartiger Geruch ging von ihr aus – leicht süßlich. Sie sah gleichzeitig älter und doch auf seltsame Weise unschuldig aus.
„Hallo, Frau Steinbach“, meinte sie und beobachtete mit ihren freundlichen Augen, wie ich meinen linken Arm angewinkelt hielt, um meine verletzte Seite so gut es ging zu schonen.
„Diesmal hat es Sie erwischt?“
„Na ja, es sieht so aus“, meinte ich. „Ich will Sie aber nicht stören.“
„Nein, nein, kommen Sie ruhig. Wir schauen uns das gleich mal an.“
„Ich glaube nicht, dass es etwas Ernstes ist“, sagte ich zögernd.
Sie lächelte. „Das haben nicht Sie zu entscheiden, auf dem Gebiet bin ich die Fachfrau.“
Sie zog einen einzelnen Schlüssel an einem Band aus der Tasche und sperrte uns auf. Wir durchquerten das Wartezimmer und gelangten in ihren Behandlungsraum, wo sie das Licht anschaltete. Sie ließ mich auf eine schwarze Kunstlederliege setzen und half mir, die Lederjacke auszuziehen. Ich hob das blutige T-Shirt an.
„Das werden wir nicht retten können.“ Sie griff sich eine Schere und schnitt das Shirt kurzerhand auf. Eine hässlich verschmutzte Schürfwunde kam zum Vorschein.
Frau Dr. Hofmann nahm eine Pinzette und ein Vergrößerungsglas und begann, die Wunde zu säubern,. „Brauchen Sie eine lokale Betäubung?“, erkundigte sie sich, ohne aufzublicken.
„Nein, es geht schon.“
„Harte Frau.“
Ich zuckte mit den Schultern. „Ich tue, was ich kann.“
Sie lachte.
Ich versuchte zurückzulächeln. Aufgrund der Schmerzen in meiner Seite gelang mir jedoch nur eine missglückte Grimasse.
„Und? Kommen Sie in den schrecklichen Fällen voran?“, fragte sie.
„Ja, ich habe jetzt Namen und teilweise Adressen.“
Die Ärztin hielt inne. „In dem Fall von Cornelia und Bernhard?“
„Nein, in diesem Bereich machen wir nicht unbedingt Fortschritte. Ich denke, wir müssen hier nochmals ganz von vorne anfangen.“
„Inwiefern?“
„Die Ereignisse haben sich in letzter Zeit regelrecht überschlagen und wir sind mehr hinterher gehechelt, als dass wir die Entwicklungen kontrollieren konnten. Wir haben die Systematik aus den Augen verloren.“
„Und das bedeutet?“
„Frau Heinze hat uns eine Liste gegeben, mit Freunden und Bekannten von Cornelia. Ich denke, wir sollten da ansetzen.“
„Oh!“, meinte die Ärztin. „Das ist sicherlich eine gute Idee.“
„Ich hoffe wirklich, wir finden auf diese Weise Anhaltspunkte zu den Suiziden.“ Ich zuckte zusammen, während sie begann, die eingerissene Haut mit einer kleinen Schere
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