Wo die Toten ruhen - Psychothriller
Sie würde erst mal ein wenig schlafen, und dann käme er bestimmt bald nach Hause.
22
Zum Frühstück suchte Ray etwas zu essen zusammen, eine Konservendose mit Birnen, trockene Frühstücksflocken mit Milchpulver. Der Vorratsschrank, der sich auf der Veranda neben
der Küche befand, wies Spuren von Schädlingsbefall auf. Doch Kat - hungrig nach dieser Spuknacht - war das egal. Als Ray seine Cornflakes stehen ließ, machte sie sich auch noch darüber her.
Das T-Shirt lag in der Plastiktüte auf der Couch. Ray schlich in einem großen Bogen darum herum. Kat konnte nicht anders, sie starrte immer wieder dorthin.
»Okay. Lagebesprechung. Wie gehen wir nun vor?«, fragte Kat. »Abgesehen davon, dass wir dem Sheriff das T-Shirt bringen?«
»Wir haben das Haus noch nicht gründlich genug durchsucht. Vielleicht finden wir ja noch mehr.«
»Suchen wir noch mehr?«
»Ich möchte nichts übersehen, wenn wir schon hier sind.«
»Aber womöglich ist es ein Tatort. Wir sollten nicht noch mehr Durcheinander verursachen.«
»Meinst du? Das glaube ich nicht. Außerdem haben wir ja schon hier geschlafen.«
Also setzten sie ihre Suche fort. Kat überließ Ray das kleine Schlafzimmer unten. Sie weigerte sich, noch einmal die Treppe hinunterzugehen.
Sie stellten das Haus vom Speicher bis zum Fundament auf den Kopf, ohne auch nur irgendetwas zu finden, was darauf schließen ließ, dass Leigh kürzlich hier gewesen war.
Kat entdeckte ein Fotoalbum, das Besuche über viele Jahre dokumentierte. Mr. Hubbel - heute nicht gerade das Bild von einem Mann -, durchtrainiert und gut aussehend wie ein junger Gott. Er fuhr Wasserski, wanderte, fuhr Motorrad, schwamm in einer knappen Badehose. Auf Schnappschüssen, die wahrscheinlich von Freunden aufgenommen worden waren, stand seine Frau neben ihm, zierlich und entzückend. Leigh - jung und im Laufe der Jahre in Begleitung weiblicher wie männlicher
Freunde - grinste gekünstelt und schief in die Kamera. Kat war, obwohl man sie häufig eingeladen hatte, nie zu Besuch gewesen.
In einem in Leder gebundenen Album ganz unten im Regal - etliche andere Alben waren darübergestapelt worden - fand Kat schließlich drei Fotos von Leigh und Tom.
Auf einem Foto saßen sie zusammen in einem Boot, sehr nah nebeneinander, ihr Haar sehr blond, seines dunkel. Er hatte die Augenbrauen zusammengezogen, was ihn ein wenig besorgt dreinschauen ließ. Leigh schaute zu ihm auf, und obwohl das Foto ein Schwarzweißbild war, wirkten ihre grauen Augen fast transparent. Sie saßen im Heck eines Rennbootes, schaumgekröntes Fahrwasser hinter sich lassend, Wassertropfen der hochspritzenden Bugwelle im Gesicht. Tom sah Leigh verliebt an. Sie wirkte glücklich, gelöst.
Auf einem anderen Foto lächelten sie beide in die Kamera. Tom war mehrere Zentimeter größer als Leigh, und sie standen in einer kargen, baumlosen Landschaft auf rissiger Erde. Er hatte einen Arm um ihre Schultern gelegt. Sie wirkten entspannt wie zwei Menschen, die zusammengehörten.
Das dritte und letzte war ein Gruppenfoto, offensichtlich eine Party. Tom war am Rand der Gruppe zu sehen, als gehöre er nicht dazu. Er saß im Schatten auf einer Bank und hatte den Blick auf Leigh gerichtet. Er sah eher finster drein. Leigh hingegen schien bester Laune zu sein. In der einen Hand hielt sie ein Sektglas, in der anderen Hand eine Platte mit appetitanregenden Horsd’oeuvres. Den Hintergrund bildete ein orangerot glühender Abendhimmel über der Wüste. Auf Leighs Gesicht war fast dasselbe Glühen zu sehen. Gut aussehende Männer standen um sie herum.
Kat zog die Fotos heraus und steckte sie in ihre Tasche. Sie klappte das Album zu.
»Hast du was gefunden?«, rief Ray von draußen.
»Nein, nichts.«
»Ich habe was.« Er hielt die Hände wie eine Schale zusammen und zeigte ihr einige zerbrochene Erdnussschalen.
»Die liegen noch nicht lange herum. Ich habe sie unter dem hinteren Balkon gefunden, wo auch die Blauhäher gerne sind. Die Schalen waren dort überall verstreut.«
»Erdnüsse! Sie mag Erdnüsse!«
»Sie hat da draußen gesessen und Erdnüsse gegessen!«
Beide sagten sie nicht, was sie dachten: dass auch derjenige, der ihr die Verletzung zugefügt hatte, dort gesessen und die Vögel beobachtet haben konnte.
»Gib sie in eine Tüte, die nehmen wir auch mit«, sagte Kat. »Für einen DNA-Test.«
»Du bist schon zu der Überzeugung gelangt, dass sie tot ist, nicht wahr?«
Kat antwortete nicht, hob nur wortlos die Hände.
»Ich würde
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