Wo die Toten ruhen - Psychothriller
herholen.
»Alter Mann«, sagte die Frau an der Kasse, »du brauchst wohl jemanden, der deiner Erinnerung auf die Sprünge hilft.«
»Monate«, sagte er stur und warf ihr einen Blick zu. »Achten Sie nicht auf sie«, sagte er. »Sie redet nur gern.«
»Leigh ist meine Frau«, sagte Ray. »Sie wird vermisst. Bitte, wenn Sie sie gesehen haben, müssen wir das wirklich wissen. Wir fürchten, dass ihr etwas zugestoßen ist.«
»Ich erinnere mich, dass sie damals, vor langer Zeit, als sie hier war, von Ihnen gesprochen hat«, sagte der Mann. Kat konnte seine Augen unter dem Hut nicht erkennen. »Ich habe sie gefragt, warum sie allein hier rauskommt. Sie antwortete, sie habe einen tollen Ehemann. Einen phantastischen Mann, aber er habe keine Zeit für die Wüsten und Berge.«
»Damit hat sie mich gemeint, ganz richtig«, sagte Ray, ohne zu blinzeln.
»Sie macht wunderbare Möbel. Letztes Jahr hat sie für mich einen Tisch angefertigt.«
»Tatsächlich?«
»Sie ist eine wahre Künstlerin.«
Ray wandte den Blick ab. Kat überlegte, was ihm wohl durch den Kopf ging, und fragte: »War sie auf dem Weg irgendwohin, als Sie sie gesehen haben?«
»Keine Ahnung.«
»Sie hat nicht von irgendwelchen Plänen gesprochen?«, bohrte Kat weiter.
»Wer sind Sie?«, fragte der Mann, und sein Blick wanderte zwischen ihr und Ray hin und her.
»Ich verstehe ja, dass Sie nicht wissen, ob Sie uns trauen können. Aber das hier ist dringend. Sie ist verschwunden. Wir müssen sie suchen.«
»Wer sind Sie?«
»Ihre beste Freundin.«
»Sie hat Sie nicht erwähnt.«
»Und trotzdem bin ich hier«, sagte Kat.
»Wenn Sie etwas wissen, irgendetwas …«, hub Ray an.
»Manchmal möchten Menschen für eine Weile verschwinden.«
»Hat sie Ihnen das gesagt? Sie war letztes Wochenende hier, oder?« Die Worte sprudelten förmlich aus Kat heraus.
Der Mann kniff die Lippen so fest zusammen, dass sie nicht mehr sichtbar waren, und Kat hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Sie drehte sich zu der Frau hinter der Kasse um und sagte eindringlich: »Bitte.«
»Es liegt an ihm«, sagte die Frau und wies mit dem Kopf auf Pablo.
»Möchten Sie die Polizei hier haben?«
»Mein Cousin ist der Dienst habende Deputy hier draußen. Vor dem fürchte ich mich genauso wenig wie vor Ihnen beiden. Sie gehen jetzt wohl besser.«
23
»Sie lügen«, sagte Kat, als sie in den Wagen stiegen und auf die Straße fuhren.
»Da bin ich ganz deiner Meinung.«
»Er hat sie gesehen. Oder er weiß etwas über sie. Er weiß etwas!«
»Könnte sein.«
»Glaubst du, er würde sich so verhalten, wenn er nichts wüsste?«
»Ich glaube«, sagte Ray und steuerte den Porsche, sobald sie wieder auf der Autobahn waren, nach Westen, »wir müssen zurück nach L. A.«
»Hat er sie gesehen oder nicht? Das ist doch eine ziemlich einfache Frage!«
»Er sagte, sie wollte verschwinden«, sagte Ray. Er schob den Unterkiefer vor. »Als wüsste er, dass sie lebt.«
»Nicht unbedingt. Vielleicht sollen wir nur weitersuchen, bis wir sie finden.«
»Wohin sollen wir fahren?«, sagte Ray. »Palm Springs? Vegas? Salt Lake City? Albuquerque? St. Louis? Cleveland? Owego, New York? Wir müssen jetzt zurück, Kat.«
»Ich bin wütend auf den Alten! Er hätte uns helfen können!«
»Vergiss ihn. Sei wütend auf Leigh«, sagte Ray. »Ich weiß, dass ich ihr kein besonders guter Ehemann war. Aber ich bin bereit, mich zu ändern, und sie ist nicht hier, um es zur Kenntnis zu nehmen. Sie war mir auch keine besonders gute Ehefrau. Ich weiß, dass sie immer noch um deinen Bruder getrauert hat. Aber die Jahre vergingen, und sie blieb traurig. Ich wüsste gern, ob sie mich je geliebt hat. Vielleicht war ich einfach nur eine willkommene Gelegenheit zwischen Tom und Martin.«
»Sie liebt dich«, sagte Kat. »Ich habe ihre Gedichte gelesen.«
Eine ganze Weile fuhren sie unter dem sternenklaren Himmel schweigend durch die Nacht. Die Wüste - am Tag gelb, golden, ockerfarben - glitt jetzt grau in grau an ihnen vorbei.
Ray fuhr schnell. Dann fragte er in das Schweigen hinein: »Wie war er?«
»Wer?«
»Tom.«
»Hast du sie nie nach ihm gefragt?«
»Warum sollte ich? Das hätte nur dazu geführt, dass ich mich mit ihm vergleiche. Aber das spielt jetzt wohl keine Rolle mehr.«
Also erzählte sie ihm von Tom. Sie erzählte ihm, dass er derjenige war, der die Familie zusammenhielt, dass er sie zum Lachen brachte, dass er auf der ganzen Welt keinen einzigen Feind hatte.
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