Wo die Toten ruhen - Psychothriller
…« Sie unterbrach sich und fuhr in ängstlichem Tonfall fort: »Bitte, tu das nicht. Du zerstörst unser Leben. Ich flehe dich an …«
»Du kannst das in Ordnung bringen. Ich rufe dich nie wieder an. Folge dir nie wieder. Du weißt, was ich will.«
»Das nächste Mal rufe ich die Polizei!«
»O nein, das wirst du nicht.«
Klick.
Ray lauschte, bis das Band zu Ende war, drehte es um und ließ auch die andere Seite abspulen. Rauschen.
Er hörte sich das Gespräch noch einmal an. Dann drückte er auf die Stopptaste, spulte wieder zurück und schrieb alles mit, Wort für Wort.
6
Die Präsentation am Vormittag war umwerfend. Nachdem Ray und Denise ihre Bonbons präsentiert hatten und Martin mit dem Rest des unwiderstehlichen Büfetts auffuhr, waren die Leute vom Museum kurz davor, den Vertrag an Ort und Stelle zu unterzeichnen. Ray ignorierte Martin weitgehend, nur wenn andere zugegen waren, setzte er ein höfliches Gesicht auf. Später eilte Martin geschäftig durch die Büroräume, sprach auffällig laut und setzte sich großartig in Szene - nur um zu betonen,
wie normal doch alles sei. Die anderen Mitarbeiter gingen ihm tunlichst aus dem Weg.
»Ich habe einen Anruf für Sie«, sagte Suzanne zu Ray, als das Meeting schließlich zu Ende war, »in der Warteschleife.«
Ray ging in sein Büro und griff nach dem Hörer. »Ja?« Die nächste Stunde war er damit beschäftigt, Achilles Antoniou zu beruhigen, der Hunderte Fragen und Zweifel hatte.
Als er auflegte, holten ihn die Stimmen wieder ein, die er auf dem Band aus dem Haus in Norwalk gehört hatte, obwohl er eigentlich die Vorschläge, die während des Meetings zusammengestellt worden waren, hätte notieren sollen. Stattdessen dachte er jetzt über Waffen nach. Er skizzierte das Messer, das seine Mutter stets scharf hielt. Er zeichnete eine Pistole, die abgedrückt wurde. Das war Vertrauen. Das war Macht. Jemanden wie Martin, der eine Plage für die Menschheit war, konnte man in einem einzigen Augenblick töten.
Er zeichnete eine Nase.
Von ihrem Büro in Santa Monica aus erreichte Kat nach fünfundvierzig Kilometern Fahrt das Haus am östlichen Rand von Torrance in der Nähe der 110. Sie notierte die Kilometer in ihr Buch und trat dann in den heißen Nachmittag hinaus. In dem Augenblick, in dem sie die Wagentür hinter sich zuschlug, summten ihr die Ohren vom Dröhnen der Schnellstraße, und sie stellte sich vor, wie unsichtbare Schmutzpartikel sich den Weg in ihre Lunge bahnten.
Nachdem sie fotografiert hatte, ging sie um das Haus herum, um es näher in Augenschein zu nehmen. Schimmel auf den Fenstersimsen. Ein dreißig Jahre altes Dach, das zu viel Sonne und zu viel Regen gesehen und niemals eine Reparatur erfahren hatte. Kein Rasensprenger, dafür ein narbiger, versengter Rasen mit Hinweisen darauf, dass er kürzlich von Hunden
heimgesucht worden war. Eine Garage, die ursprünglich wahrscheinlich ein Schuppen gewesen war und immer noch aussah wie einer. Dies war eine provisorische Wohngegend, und zwar seit dem Tag, an dem sie mehr schlecht als recht aus dem Boden gestampft worden war. Niemand wollte hier so nah an der Schnellstraße leben. Wer in dieser Gegend ein Haus in der Kategorie unter einer halben Million Dollar kaufte, der hatte gerade ein anderes Haus in einer noch gruseligeren Gegend von L. A. verkauft.
Sie holte ihr Laserdistanzmessgerät heraus, maß die Grundstücksgrenzen ab und schrieb die Zahlen in ein dickes Notizbuch, das ihr sowohl als Protokoll als auch als nützliche Quelle diente.
Einen letzten Halt machte sie an diesem Tag in Gardena, wo sie ihrem Chef bei einer besonders strittigen Wertermittlung beistand. Sie fühlte sich verschwitzt und klebrig, das Wasser in ihrer Flasche war inzwischen unangenehm warm. Sie hatte die Klimaanlage voll aufgedreht und fuhr auf der 405 Richtung Norden zurück zum Büro.
Doch die ohnehin schwächelnde Klimaanlage in ihrem Echo hatte den Geist aufgegeben. Gab (ja gab denn jetzt) das ganze System, das ganze ineinander verflochtene Netzwerk von Fernsehen, Schnellstraßen und Klimaanlagen den Geist auf? War dies das Ende der Welt? Der Verkehrsnachrichtensprecher klang ziemlich frisch, vermittelte die Munterkeit von jemandem, der zwar schlechte Nachrichten bringt, aber, hey, Leute, was soll’s, ist doch alles halb so wild … Er berichtete von einem Unfall auf der 405 in der Nähe von Rosecrans, an dem vier Fahrzeuge beteiligt gewesen waren, bei dem es jedoch nur kleinere Verletzungen
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