Wo die Toten ruhen - Psychothriller
liegenden Augen, die Art, wie sie mit dem Finger über seine Augenbraue fuhr, bevor sie sich über ihn beugte, um ihn zu küssen, den erregend tiefen Kuss. Er erinnerte sich an ihre vollkommene Hingabe im Bett, an ihre weichen Brüste …
Doch von all dem erzählte er Antoniou nichts; nichts von dem, was seine Frau wirklich ausmachte. Das hatte der Kunde nicht verdient.
»Sie lieben sie immer noch«, sagte Antoniou und schenkte sich ein letztes Glas Champagner ein. »Glückliche Frau. Und sie liebt Sie, da bin ich mir sicher.«
»Oh, ja«, log Ray, erleichtert, dass Antoniou seine Aufmerksamkeit jetzt dem jungen Koch zugewandt hatte, der sich, dem Zwinkern in seinen Augen nach zu urteilen, diese Aufmerksamkeit gerne gefallen ließ. Ray war ein kurz aufflackerndes Verlangen gewesen, es blieben keinerlei Ressentiments zurück.
Als er später durch die hereinbrechende Dämmerung nach Hause fuhr, wurde Ray klar, dass er auf den alten Trick aus seiner Kindheit zurückgegriffen hatte, indem er sich in eine andere Person verwandelt hatte. Nicht zum ersten Mal hatte er Martins Charakter nachgeahmt. Wie würde Martin mit so einer Situation umgehen?
Er überlegte, ob er mit diesem Talent zur Nachahmung nur die Leere seiner Seele übertünchte, was Leigh ihm einmal vorgeworfen hatte. Beschwor er nicht einfach nur Elemente von sich herauf, um eine andere Person zu werden, und lotete damit Bereiche seiner Persönlichkeit aus, die unentwickelt in ihm verborgen waren? Er konnte doch unter Druck keinen Charme an den Tag legen, wenn dieser Charme nicht irgendwo da drinnen verborgen lag, oder?
Er hatte dem Kunden die Hand geküsst, für die Firma den Zuhälter gespielt, den Tag gerettet. In Ordnung, es war nicht Charme gewesen, was er an den Tag gelegt hatte. Vielleicht war er unterwürfig gewesen. Er hatte ermutigend genickt, als Antoniou von seinen Säulen und Olivenbäumen gesprochen hatte.
Leigh … ihre grauen Augen. Ihre Integrität. Er fuhr sich mit der Hand über die Wange, löschte aus, was er konnte.
Kat fuhr direkt zum Krankenhaus. Das UCLA Medical Center behandelte mindestens sechshundert Patienten. Kat fand den riesigen Parkplatz, der weit weg vom Gebäude lag, und versuchte einen Stellplatz so nah wie möglich an dem mit Palmen gesäumten Eingang zu finden. Oft funktionierte es, wenn sie genau das nicht tat, was ihre Intuition ihr eingab; und diesmal klappte es, denn ein blauer Acura fuhr wie bestellt aus einer Parklücke, die nur fünf Stellplätze vom Haupteingang entfernt lag.
Kat ließ den Acura gerade eben herausfahren und lenkte ihren Wagen augenblicklich auf den frei gewordenen Parkplatz. Sie schnitt dabei mindestens einen anderen, womöglich genauso nervösen Angehörigen, der nun die nächste Stunde ziellos herumfahren musste.
Warum hatten sie sie nicht angerufen?
Sie schloss den Wagen ab und betrat das Krankenhaus durch den Westwood-Plaza-Eingang .
Eine freundliche Empfangsdame sagte ihr, dass sie ihre Schwester wohl auf Ebene vier finden würde, also wartete sie zusammen mit einer bunten Menschenmenge darauf, dass die Doppeltür des Aufzugs sich öffnete. Neben ihr stöhnte ein Mann in einem Rollstuhl, den Kopf nach rechts verdreht. Seine Frau beugte sich über ihn und streichelte ihm die Wange. Rechts von ihr stützte sich eine Frau mittleren Alters, vielleicht fünfzig, mit
drahtigem, blondem Haar, das ihr vom Kopf abstand wie die Schlangen vom Haupt der Medusa, auf Krücken.
»Was ist passiert?«, fragte Kat und hoffte, dass das keine peinliche Frage war.
»Ich bin bei einem Flohmarkt vom Bürgersteig gestolpert und gestürzt«, antwortete die Frau, »als ich mir den Stand mit den Bonsais anschaute. Aber so trainiere ich wenigstens meine Oberkörpermuskulatur.« Sie lachte.
Das Schwesternzimmer, ein großer zentraler Bereich, umgeben von Empfangstresen und reichlich mit Computern ausgestattet, verströmte keine freundliche Atmosphäre - keine warmen, beruhigenden Bilder, keine Blumen.
»Okay«, sagte ein Pfleger. »Ihr Name steht hier gleich auf der ersten Seite.«
»Welches Zimmer?«
Der Mann konzentrierte sich auf den Computerbildschirm. Ein Spiel? Instant Messages?, überlegte Kat.
»Hm«, sagte er geheimnisvoll.
Ich hasse dich, antwortete Kat innerlich. Sie vergegenwärtigte sich, dass sie, als sie das letzte Mal in einem Krankenhaus gewesen war, dort war, um Tom zu suchen, und ihn schließlich im Leichenschauhaus gefunden hatte. »Sie ist mit dem Krankenwagen hergekommen«,
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