Wo die Toten ruhen - Psychothriller
nachzubauen.«
»Das ist ziemlich schräg, Ray. Versprechen Sie mir, dass Sie nicht anfangen, Drehbücher zu schreiben.«
»Sie haben mich gefragt, was ich tue. Ich habe es Ihnen erzählt. Und jetzt erzählen Sie mir, warum Sie noch einmal hergekommen sind. Warum wir uns treffen mussten.«
Der Raum war so hell, die Wände strahlend weiß - aber was war dort hinter ihm im Halbdunkel des Schranks?
Ray bewegte vorsichtig eine dünne Wand an einem der Modelle. »Es war keine gute Idee, hier herunterzugehen«, sagte er. Er hob den Kopf. Sein Blick huschte nach rechts zu dem Schrank, und Kat sah, dass etwas in seinen Augen aufblitzte. »Gehen wir wieder rauf.«
Ein kalter Schauer durchfuhr Kat. Mit einem Satz war sie bei dem Schrank und riss die Tür auf. Was hatte sie erwartet? Leigh?
An einem riesigen Stahlhaken hing ein dickes, grobes Kokosfaserseil, an dem eine Schlinge befestigt war, von festen Knoten gesichert. Das Seil baumelte leicht.
Erschrocken fuhr sie ein Stück zurück. Ray ging an ihr vorbei, schloss die Schranktür und stellte sich mit dem Rücken davor. »Das hat nichts mit Ihnen oder mit Leigh zu tun, hören Sie? Starren Sie mich nicht so an. Moment.«
Er zog etwas aus seiner Tasche. »Schauen Sie«, sagte er und ging mit ausgestreckter Hand auf sie zu. »Schauen Sie, ich habe das Ding …«
»Bleiben Sie von mir weg!« Sie holte das Pfefferspray heraus und richtete es auf ihn.
Er warf einen Zettel zu Boden. »Die Quittung aus dem Eisenwarenladen. Ich habe das Zeug erst vor ein paar Tagen gekauft.«
Misstrauisch hob sie den Zettel auf.
»Gehen Sie einfach …«, sagte er. »Es tut mir leid, dass ich Ihnen Angst gemacht habe.«
»Warten Sie. Warten Sie. Ich muss nachdenken.« Kat hielt das Pfefferspray fest umklammert. »Sie haben sie umgebracht?«, fragte sie. »Und Sie ertragen die Schuld nicht?«
Ray wischte sich mit der Hand über die Stirn. »Meine Frau ist weg«, sagte er. »Kat, ganz ehrlich, sie hat mich verlassen. Ich habe ihr nichts getan, nicht so. Ich glaube, man wird mich
verhaften. Meine Arbeit - nun, an manchen Tagen weiß ich, was ich tue, und glaube daran. An anderen Tagen stelle ich jede einzelne Entscheidung in Frage. Mein Vater … war ein Schwein. Er hat mich nie geliebt und jahrelang meiner Mutter versucht wehzutun. Was bleibt da noch übrig? Wofür lohnt es sich zu leben?«
Tom hatte damals dieselbe Frage gestellt, und es wühlte sie auf, sie jetzt wieder zu hören.
Kat griff nach einer Schere, die auf dem Tisch lag, und ging direkt auf Ray zu, blieb jedoch vor ihm stehen, als er ihr nicht aus dem Weg ging.
Ein merkwürdiges Lächeln umspielte seine Lippen. »Wollen Sie mir helfen, Kat?«
Ungeduldig schob sie ihn beiseite, öffnete abermals die Schranktür und zerrte und riss und schnitt so lange an der Schlinge, bis sie offen war. Sie drehte sich um und sah ihn an. »Sie werden das nicht tun. Ausgeschlossen. Nicht, solange ich in der Nähe bin. Sie sagen, Leigh lebt und ist irgendwo da drau ßen, nun, dann müssen wir sie suchen. Damit sie uns erklärt, warum sie einen Mann verlassen hat, der sie, wie ich allmählich glaube, von ganzem Herzen liebt!«
»Sie will nicht gefunden werden.«
»Woher wissen Sie das?«
»Was ich zu ihr gesagt habe … was sie in mir gesehen hat …«
»Jetzt klingen Sie schon wie ich, Ray, völlig wirr.« Sie schüttelte den Kopf. »Vielleicht wartet sie nur darauf, dass Sie um sie kämpfen. Vielleicht will sie, dass Sie sie nach Hause schleifen und ihr zeigen, wie viel Ihnen an ihr liegt.«
»Ich glaube nicht.«
»Ich könnte Ihnen eigenhändig den Hals umdrehen! Wussten Sie, dass mein Bruder Tom Selbstmord begangen hat? Wissen
Sie, welche Höllenqualen das den Menschen bereitete, die er zurückgelassen hat? Schuldgefühle, Alpträume, Selbstverachtung, Vorwürfe, Trauer! Unsere Mutter ist nicht damit fertig geworden. Man kann wohl sagen, es hat auch sie umgebracht.«
Er ging an ihr vorbei und schloss sanft die Schranktür. »Es tut mir leid, Kat. Es tut mir wirklich leid, dass ich Sie in meine Privatprobleme mit hineinziehe.«
»Sie selbstmitleidiger … Idiot! Sie bringen sich um, und die Frau, die Sie geliebt und geheiratet haben, wird für den Rest ihres Lebens leiden.«
»Deshalb habe ich es nicht getan.« Er wies mit einem Nicken auf den Wandschrank. »Ich konnte es weder Leigh noch meiner Mutter antun.«
»Kommen Sie schon, Ray, tun wir etwas gegen diesen gottverdammten Mist! Sie sagen, sie ist irgendwo. Also gut, gehen
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