Wo die Toten ruhen - Psychothriller
Scheckbuch und Kreditkarten in ihrer Brieftasche aufbewahrt. Sie hat alles mitgenommen.«
Kat setzte sich aufs Bett und griff nach dem in Seide gebundenen Notizbuch. Sie blätterte darin herum. Ray hockte nervös neben ihr.
Leigh liebte ihren Mann, oh, ja, so viel stand fest, das konnte Kat den Zeilen entnehmen, auch wenn sie bestimmte Seiten schnell überblätterte, da sie merkte, wie Ray an den Fingernägeln kaute.
In einigen traurigeren Gedichten ging es um Tom. Kat war berührt. Leigh war Toms Tod wohl ebenso nahe gegangen wie ihr selbst.
Zwischen all den anderen hervorgekramten Dingen stieß sie schließlich auf eine Goldkette mit einem kleinen Sternanhänger, eine Strass-Anstecknadel aus irgendeinem vergangenen Jahrhundert und auf goldene Ohrringe, kleine Kreolen, die sie Leigh schon tragen gesehen hatte.
Eine fast übermächtige Sehnsucht, ihre Freundin wiederzusehen, stieg in Kat auf.
»Hier ist nichts, was uns weiterhilft«, sagte Ray und setzte sich an das andere Ende des Bettes. »Es beweist nur, wie Sie sagten, dass Leigh keine Geheimnisse vor mir hatte, sondern sich mitteilen wollte, ich sollte mitbekommen, wie es ihr geht.«
Auch für Kat waren diese Erkenntnisse wichtig, denn nun begriff sie immer mehr, wie sehr Leigh Ray liebte.
»Ich fürchte, ich wollte nicht mehr mitbekommen, wie es ihr geht, weil ich Angst davor hatte.«
»Tja, das bringt uns alles in der Tat nicht weiter«, sagte Kat, ohne ihre Enttäuschung darüber zu verbergen. »Gehen wir mal die Post durch.«
»Bitte. Aber ich habe sie bereits durchgesehen.«
»Heute auch?«
»Bevor Sie kamen, habe ich sie hereingeholt.«
Im Wohnzimmer beugte Ray sich über den Metallstuhl, die Hände um die Rückenlehne geschlungen, seine Miene angespannt und besorgt. Kat saß ihm abwartend gegenüber, das Kinn auf die Hände gestützt.
»Ich glaube, ich muss Ihnen ein paar Dinge erklären«, meinte er schließlich.
»Wird aber auch Zeit.«
»Meine Mutter war immer meine beste Freundin. Wir standen uns sehr nah. In letzter Zeit jedoch streiten wir uns viel. Sie zieht sich von mir zurück.«
Nachdem er ihr die Situation geschildert hatte, nickte Kat verständnisvoll und sagte: »Das ist hart.«
»Ja, das ist hart. Und jetzt möchte ich Ihnen noch mehr erzählen, und zwar über meinen Partner. Der früher auch mein Freund war.« Wieder war es so: Wenn er einmal anfing, redete er wie ein Wasserfall. Er erzählte alles, von der Affäre, vom Büro und über Antonious Kerker. »Bis jetzt wusste ich nicht, wie gut es tun kann, dem Gefühl von Hass einfach nachzugeben, es zuzulassen. Es ist aufregend und macht süchtig, obwohl es einen zugleich quält. Jedenfalls verstehe ich jetzt auch die Menschen, die sagen, sie würden morgens aufwachen und sich hassen.«
»Wie werden Sie in Bezug auf Ihre Arbeit vorgehen?«
»Ich ertrage es nicht, weiterhin mit Martin zusammenzuarbeiten. Ich sehe ihn jetzt vollkommen anders als früher. Lange
vor Leigh hatte ich mal eine Freundin, die ich wirklich sehr mochte. Mit der Zeit jedoch kam ich hinter ihre wahre Persönlichkeit: Sie stahl, sie log, um Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen, sie fiel mir in den Rücken. So ähnlich geht es mir jetzt mit Martin auch, wie eine Liebesbeziehung, die kaputtgegangen ist. Er kommt mir jetzt vor wie sein eigener böser Zwilling.«
»Haben Sie mal darüber nachgedacht, dass Martin etwas mit Leighs Verschwinden zu tun haben könnte? Vielleicht wollte sie sich von ihm trennen und er drehte durch?« Diese Affäre zwischen seinem Partner und Leigh - wenn das stimmte … Überraschen tat es Kat nicht, so etwas kam vor, obwohl es sie irgendwie ein wenig enttäuschte, doch damit würde sie sich irgendwann später befassen. Wichtig schien ihr jetzt, dass Martin verheiratet und - laut Ray - ein amoralischer Opportunist war und dass Leigh verschwunden blieb.
»Ich habe ihn damit schon konfrontiert, aber er leugnete es. Wenn ich mir das allerdings näher überlege, dann kommt mir zwangsläufig auch Martins Frau in den Sinn. Ich glaube, sie wusste von der Affäre. Und Suzanne, meine Sekretärin. Sie ist in ihn verliebt.«
»Wir müssen wohl alle Möglichkeiten in Betracht ziehen.«
Er seufzte schwer. »Ich denke, das tut die Polizei bereits.« Wie aus heiterem Himmel fuhr er fort: »Ich habe schon mal dran gedacht, Martin umzubringen. Fast hätte ich’s getan.«
Kat erschrak, blieb jedoch äußerlich ruhig und meinte nur: »Ich habe fast einen Universitätsabschluss. Ich
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