Wo die Wahrheit ruht
machte, erzählte sie ihm von der Geschichte mit Victor Lorry. “Matt Baxter ist gerade bei Mr. Lorry. Zwei weitere FBI-Agenten treffen in Kürze aus Philadelphia ein.”
Bernie wirkte bestürzt. “Die glauben doch wohl nicht, dass Steven etwas mit den Fälschungen zu tun hatte, oder?”
“Niemand stellt Vermutungen an, bevor Mr. Lorry nicht ausgepackt hat.” Um weiteren Fragen zuvorzukommen, sagte sie schnell: “Ich muss ein paar Geschenke für meine Freunde zu Hause in Boston besorgen. Können Sie mich solange hier vertreten? Es wird nicht lange dauern.” Sie richtete ihm die Krawatte wie eine große Schwester und schaute ihn lächelnd an. “Da Sie schon Ihren Hatfield-Gallery-Anzug tragen, wäre es wunderbar, wenn Sie Zeit hätten.”
Die kleine Sorgenfalte zwischen seinen Augenbrauen verschwand. “Meine Schicht auf dem Friedhof ist vorbei, und mein nächster Job fängt erst um sechs Uhr heute Abend an.”
“Dann übernehmen Sie hier das Ruder.” Sie notierte ihre Mobilnummer auf eine von Stevens Visitenkarten und reichte sie ihm. “Rufen Sie an, wenn Sie mich brauchen.”
Am Abend saß Grace an einem Fenstertisch in Matts Lieblingsrestaurant und beobachtete die Restaurantgäste um sie herum. Das “Number 9” lag an einer exponierten Stelle in Lambertville und zählte zu den beliebtesten Restaurants der Gegend. Es war klein, gemütlich und bot eine einfache, bodenständige Küche, die bei den Gästen sehr gut anzukommen schien. Schon die Düfte, die aus der Küche zu ihnen herüberdrangen, ließen Grace das Wasser im Mund zusammenlaufen. Ein aufmerksamer Kellner hatte ihr bereits ein Körbchen voll knusprigem, frisch gebackenem Baguette gebracht, um ihr das Warten zu versüßen.
Da Bernie sie am Nachmittag in der Galerie vertreten hatte, war sie, nachdem sie ihre Besorgungen erledigt hatte, aufs Polizeirevier gegangen, um die versprochene Aussage abzuliefern. Mittlerweile war sie darin schon ziemlich geübt. Sie ahnte die Fragen schon voraus und konnte sie klar und unmissverständlich beantworten. Ihre traurige Berühmtheit hatte dazu geführt, dass sie und Rob Montgomery sich mittlerweile beim Vornamen nannten.
Während Rob ihre Aussage ausdruckte, hatte Matt nur kurz Lorry und das Vernehmungszimmer verlassen, um sich mit ihr für sieben Uhr im “Number 9” in Lambertville zu verabreden. Die Cocktails mussten sie verschieben.
Als sie zur Galerie zurückkamen, erwarteten sie dort mehr als zwei Dutzend Leute, um auf den aktuellen Informationsstand gebracht zu werden. Bernie hatte sich redlich bemüht, sie in Schach zu halten, doch der panische Ausdruck seines Gesichts verriet, dass er sich weit weg wünschte.
Sobald Grace den Ausstellungsraum betreten hatte, wurde sie von der aufgeregten Menge umringt und bestürmt, von “der Verfolgungsjagd” zu berichten. Während Bernie sich ins Hinterzimmer flüchtete, hatte Grace die unwillkommene Besucherschar höflich, aber bestimmt hinausgeleitet und das “Geschlossen”-Schild ins Fenster gedreht.
Grace knabberte gerade an ihrem zweiten Stück Brot, als Matt mit zwei Flaschen Wein unter dem Arm das Restaurant Number 9 betrat. “Ich war mir nicht sicher, welchen sie bevorzugen würden, deshalb habe ich von beiden eine Flasche mitgebracht”, sagte er und stellte sie auf den Tisch: “Einen roten und einen weißen.”
Neugierig versuchte Grace an seiner Miene abzulesen, was auf dem Polizeirevier geschehen war, doch wie immer ließ sein Gesichtsausdruck keine Rückschlüsse zu.
Der flinke Kellner entkorkte schon den Weißwein. “Nun”, sagte sie, nachdem er ihnen eingeschenkt und sie dem Studium der Speisekarte überlassen hatte, “spannen Sie mich nicht länger auf die Folter. Was hat Lorry gesagt? Ich weiß, Sie haben gehofft, dass er sich als Stevens Mörder entpuppen würde.”
“Das war leider reines Wunschdenken von mir.” Matt hob sein Glas, setzte es jedoch noch nicht an die Lippen. “Leider ist sein Alibi absolut wasserdicht. Er war in der betreffenden Woche tatsächlich außer Landes und ist erst am dritten Oktober zurückgekehrt. Als er hörte, dass Steven ermordet worden war, beschloss er, auf Nummer sicher zu gehen und das Gemälde zurückzuholen.”
“Indem er in die Galerie einbrach?”
“Genau. Unser selbst ernannter Kunsthändler ist in Wirklichkeit nicht mehr als ein billiger kleiner Ganove, mit einem nicht sehr beeindruckenden Vorstrafenregister, der einmal wegen Einbruchs verhaftet worden war. Er hat seine Strafe
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