Wo die Wahrheit ruht
wesentlich höhere Summe als die fünfundzwanzigtausend Dollar, auf die sich Lorry und Steven verständigt hatten. Sein Scheck, abzüglich ihrer Provision, liege jederzeit zur Abholung für ihn bereit. Um sicherzugehen, dass er noch heute auftauchte, hatte sie hinzugefügt, dass die Galerie den ganzen morgigen Freitag wegen Inventur geschlossen bliebe.
“Da ist er”, sagte Grace plötzlich. “Sein Wagen ist gerade vorgefahren.”
“Der große schwarze Geländewagen?”
“Genau.”
Matt zog sich weiter ins Hinterzimmer zurück und beobachtete, wie Lorry aus seinem Wagen stieg. Sein Gang war federnd, und er wirkte um einiges glücklicher als am Vortag. Auf manche Menschen entfaltete Geld diese Wirkung.
Matt blickte kurz zu Grace hinüber. Während der Wartezeit hatte sie wie auf Nadeln gesessen, doch jetzt, da die Show losging, saß sie hinter ihrem Schreibtisch, als wäre sie die Ruhe in Person. Sie hatte sich auf ihre Rolle, die für sie nur ein minimales Risiko bedeutete, vorbereitet. Sie würde den “Kunsthändler” begrüßen, und während sie vorgab, seinen Scheck aus dem Hinterzimmer zu holen, wollte Matt aus seinem Versteck auftauchen und ihn in die Mangel nehmen.
Als Grace einen Stapel Ordner zurechtrückte, suchte Matt nach einem Anzeichen von Nervosität in ihrem Gesicht. Doch er konnte keines entdecken. Sie wirkte so gelassen und entspannt, als wäre die Verbrecherjagd ihr tägliches Geschäft.
Erst als der Händler eintrat, hob sie den Kopf. “Da sind Sie ja wieder, Mr. Lorry.” Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, als ob die gestrige Auseinandersetzung nie stattgefunden hätte.
Lorry hingegen verschwendete keine Zeit mit Höflichkeiten. Mit schnellem Blick vergewisserte er sich, dass sie alleine waren, und kam dann gleich auf den Punkt. “Haben Sie den Scheck?”
“Ich hole ihn”, sagte sie und stand auf.
Im gleichen Augenblick, als sie aus seinem Blickfeld verschwand, kam Matt aus seinem Versteck und lächelte freundlich. “Ah, Mr. Lorry.” Mit schnellen Schritten trat er um den Schreibtisch herum. “Genau mit Ihnen wollte ich reden.”
“Was zum Teufel geht hier vor? Wer sind Sie?”
Matt zückte seinen Ausweis. “Spezialagent Matt Baxter, FBI.”
Matt konnte gerade noch sehen, wie ein Anflug von Panik über Lorrys Gesicht huschte. Doch dann ging alles rasend schnell. Ein so flinkes Reaktionsvermögen hätte Matt dem Kunsthändler gar nicht zugetraut. Ehe sich der FBI-Agent versah, stürmte Lorry los und verschwand blitzschnell durch die Tür.
“Scheiße!”
Grace rannte herbei. “Was ist los?” Sie blickte sich um. “Wo ist Lorry?”
“Weg. Rufen Sie die Polizei!”
Als Matt auf die Straße hinauslief, sah er, wie Lorry auf sein Auto zurannte, doch ein Lieferwagen hatte seinen schwarzen Jeep zugeparkt.
Lorry fluchte. Als er merkte, dass Matt ihm auf den Fersen war, sprintete er los.
Matt nahm die Verfolgung auf und warf sich in die Menschenmenge, die zu dieser Mittagsstunde aus Touristen und jungen Müttern mit Kinderwagen bestand. Lorry, der bereits einen geringen Vorsprung hatte, schlug Haken wie ein Hase und rannte im Zickzackkurs mitten durch die verdutzten Fußgänger hindurch. Dabei riss er einen Verkaufsstand mit Vogelscheuchen und Hexenfiguren um.
An der Kreuzung Bridge und Main Street rannte Matt, obwohl die Ampel gerade auf Rot gesprungen war, auf die Straße. Ein Van, der direkt auf ihn zuschoss, bremste mit quietschenden Reifen. Der Fahrer hupte, streckte seinen Kopf aus dem Fenster und fluchte laut.
Matt achtete gar nicht darauf. Er ignorierte die wütenden Autofahrer und sprintete zwischen den fahrenden Wagen hindurch über die Straße. Lorry hatte mittlerweile einen ganzen Block Vorsprung gewonnen und rannte auf die Brücke zu, die New Hope mit Lambertville verband.
Matt stürmte durch die Menge und stieß dabei im Wege stehende Passanten unsanft zur Seite. Einige von ihnen waren geistesgegenwärtig genug, um freiwillig aus dem Weg zu springen. Matt hörte, wie jemand fragte: “Wird hier ein Film gedreht?”
Anstatt die Brücke zu überqueren, rannte Lorry plötzlich die schmale Uferböschung hinunter. Als Matt realisierte, dass sich eine etwa sieben Meter lange Yacht gerade einer privaten Anlegestelle näherte, wusste der FBI-Agent schlagartig, was der flüchtende Kunsthändler vorhatte.
Er wollte per Boot fliehen.
“Oh, nein, das wirst du nicht”, keuchte Matt leise. Auf dem Hosenboden rutschte er die Böschung hinab, sprang knapp
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