Wo Elfen noch helfen - Walter, A: Wo Elfen noch helfen
Ölklamotten. Hildibrandurs Augen sind knallblau, seine Wangen leuchten tiefrot, beinahe violett, so sehr sind sie geädert vom Wetter. Sein Alter verrät Hildibrandur nicht, aber er geht auf die 70 zu und führt eine Tradition fort, die es in Island schon seit 400 Jahren gibt. Bereits im 17. Jahrhundert begann man hier damit, das Haifischfleisch zu essen. Denn die Lebensbedingungen zu jener Zeit waren hart und man hatte Hunger und außerdem herausgefunden, wie man diesen Hai essbar macht. Denn bevor der Grönlandhai genießbar ist, muss man ihn bearbeiten. Sonst ist er giftig. Der Grund sind die fehlenden Nieren, weshalb sich der Harnstoff und andere Stoffwechselgifte in seinem Fleisch befinden. Deshalb unterzieht man es einer aufwendigen Prozedur.
Hildibrandur und sein Sohn schneiden jetzt dicke Fleischlappen aus dem Hai, der mit der Schwanzflosse nach oben vom Traktor herabhängt. Mit einem Flatschen landen sie in großen Plastikwannen. Das Fleisch ist hellrosa, fast weiß. Die graue Haut, die im Wasser so elegant aussieht, fühlt sich an wie grobes Schmirgelpapier. Behutsam manövriert Hildibrandurs Sohn das, was vom Hai übrig ist, nun auf den Tisch. Immer wieder wetzen die Männer ihre Messer und schneiden dann weiter. Sie schuften stumm, aber mit voller Kraft. Farmhund Týra streift ihnen dabei um die Beine. Hildibrandurs Wangen glühen jetzt noch mehr. Auf seiner Öljacke steht »Ocean« und irgendwie merkt man, dass er hier hingehört. Hier auf den einsamen Bjarnarhöfn im Schatten eines Berges, von wo aus man einen wunderbaren Blick auf unzählige kleine Felsinseln hat, die aus dem grauen Meer herausragen, und auch auf die winzige Kirche, die zu Hildibrandurs Hof gehört. Sie steht schon seit 1856 hier. Und bereits seit dem Jahr 1000, seitdem die Isländer auf dem Althing kollektiv
das Christentum angenommen haben, hat an dieser Stelle immer eine Kirche gestanden, erzählt Hildibrandur.
Die Grönlandhaie, die Hildibrandur verarbeitet, sind übrigens Beifang, denn manchmal verheddern sie sich in den Netzen der Fischer und die bringen sie dann zu Hildibrandur.
Und immer, wenn Leute aus aller Welt »einen verrückten Typen sehen wollen, der Haifisch zubereitet, kommen sie mich besuchen«, sagt er. Er ist stolz auf seine Arbeit. Schon sein Vater und Großvater haben Hákarl hergestellt. Deshalb hat er auf dem Bjarnarhöfn auch ein kleines Museum eingerichtet. Hier kann man das Holzboot des Großvaters sehen und lauter alte Gerätschaften wie Netze, Seile und Harpunen. Auch ein paar Haigebisse hat Hildibrandur aufbewahrt. Sie vibrieren, wenn das Tier zubeißt, erklärt er. Irgendwo steht auch ein Glas mit Hai-Augen herum, die in einer Lake schwimmen und so groß wie Hühnereier sind. Auch Hai-Hoden hat Hildibrandur zur Ansicht konserviert. Sogar ein Stück Eisbärenfell stellt er aus. Sie haben es im Magen eines Hais gefunden.
Nachdem Hildibrandur und sein Sohn den Hai zerteilt haben, stapeln sie die Fleischlappen, die fast so dick sind wie ein Laib Brot und mindestens 20, 30 Zentimeter lang, in Holzkisten und lagern diese anschließend sechs bis acht Wochen in einer Halle. Nie war ich so froh über einen Schnupfen wie jetzt. Denn in der Lagerhalle rottet das Haifischfleisch vor sich hin. Eine grüngräuliche Soße rinnt aus den Kisten und bildet am Boden kleine Pfützen. Tropfspuren haben sich ins Holz der Kisten gefressen. Ein bestialischer Gestank wabert durch den Raum. Während des Fermentationsprozesses wird der Ammoniak freigesetzt, der sich im Fleisch befindet.
Früher hat man den Hai übrigens wochenlang am Strand eingegraben und mit Torf oder Steinen bedeckt. Und um zu prüfen,
wie weit der Gärungsprozess fortgeschritten ist, hat man ein Messer hineingesteckt, wie beim Kuchenbacken. Hildibrandur zieht heute die Holzkisten in der Lagerhalle vor, dann kann er auch zwischendurch mal nach seinen Zöglingen sehen. Sind sie fertig gegoren, werden sie gewaschen und aufgehängt.
Vier bis sechs Monate baumeln sie dann unter der Decke einer weißen Holzhütte, die direkt vor dem Berghang steht und keine richtigen Wände hat, sondern nur mit ein paar Holzlatten gegen den Regen verkleidet ist. Vor allem hat die Hütte keinen Boden, damit das Haifischfleisch dort trocknen und auslüften kann, bevor es in den Kühlregalen von Feinkostläden landet. Von dort findet es seinen Weg in die Mägen von Hákarl-Fans, die die Delikatesse würfelzuckergroß geschnitten genießen und mit beißend starkem Brennivín
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