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Wo Elfen noch helfen - Walter, A: Wo Elfen noch helfen

Wo Elfen noch helfen - Walter, A: Wo Elfen noch helfen

Titel: Wo Elfen noch helfen - Walter, A: Wo Elfen noch helfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Walter
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nachspülen.
    Seelenruhig steht Hildibrandur unter den Haifischstücken, die von den Dachbalken der Holzhütte herabhängen. Nach mehreren Monaten an der Luft sehen sie aus wie geräucherter Schinken: ledrig und dunkel. Ihr Geruch erinnert mich an Hoppel, den Hasen, der mir und meinem älteren Bruder gehörte als wir Kinder waren. So ähnlich roch es, wenn einer von uns dringend den Käfig sauber machen musste. Ammoniak umnebelt uns. Hildibrandur stört das nicht. Er nimmt ein Stück Hákarl und schneidet es auf. Innen ist es weiß. Er schneidet ein kleines Häppchen heraus und probiert ohne die Miene zu verziehen. »Sehr gut«, ist sein Urteil. »Smakkađu« (Probier mal), sagt er, lächelt und hält mir ein Stück hin. Doch das sagt sich so einfach. Meine Nasenflügel beben. Innerhalb von Sekunden muss ich mich entscheiden, welches Risiko ich mehr scheue: mich zu übergeben oder als Feigling dazustehen.
    Natürlich entscheide ich mich für die Heldentat. Das Kunststück sei, den Hákarl an der Nase vorbeizubekommen, sagt man
in Island. Ich höre also auf zu atmen und probiere. Ein wenig glitschig ist es, von der Konsistenz her ein bisschen wie Speck. Der beißende Geruch kriecht erbarmungslos in die Nase. Trotz Schnupfen. Es prickelt auf der Zunge. Hákarl schmeckt wie der übelste Stinkekäse, den man sich vorstellen kann. Hildibrandur lacht sich kaputt über mein verzerrtes Gesicht. »Alles o.k.?«, fragt er dann. Wäre da nicht dieser Nachgeschmack, ginge es mir sicher blendend. Denn wer Hákarl isst, bekommt keine Krankheiten, heißt es. Weil Haie starke Immunsysteme haben und angeblich niemals Krebs. »Wer Magenprobleme hat, soll Hákarl essen«, sagt Hildibrandur. Auch gegen Bluthochdruck helfe es. Einfach gegen alles.
    Gerade will ich stolz sein. Doch dann gibt man mir noch etwas anderes zum Probieren. Niemand sagt mir, was es ist. Nur, dass man vorher ein paar Stückchen Trockenfisch essen soll und dann ein Stück von einem weißen Etwas. Ich denke: Jetzt kann mich nichts mehr schocken. Aber ich irre. Das weiße Stückchen, in das ich beiße, schmeckt, als hätte ich direkt aus dem Wasserbassin eines Walrosses im Zoo getrunken oder etwas gegessen, das monatelang in einem Affenkäfig lag. Hildibrandur hatte mich ehrlicherweise gewarnt. Ich laufe rot an und zische meinem Kollegen Dagur zu: »Die Cola, Dagur, im Auto ist’ne Cola!«
    Ich muss wirklich erbärmlich aussehen. Nie habe ich meinen Kollegen, der sonst ein äußerst gelassenes Gemüt hat, so schnell laufen sehen. Er bringt mir die Cola. Erst nach ein paar Schlucken kann ich wieder atmen. Und da erzählt man mir auch, was es war: in saure Molke eingelegtes Robbenfett. Die Inuit in Grönland würden so etwas öfter essen, erzählt man mir. Weil das Fett, das auch die Robben schützt, gegen die Kälte abhärtet. Na super. Und als ich höre, dass es eine weitere Spezialität – nämlich den verrotteten Rochen – nur zur Weihnachtszeit gibt, danke ich
dem lieben Gott. Kenner sagen: »Da weinst du, wenn du den isst.« Das glaube ich sofort.
    Bevor ich den Hof Bjarnarhöfn verlasse, zeigt Hildibrandur mir noch seine Kirche. Allerdings nicht, ohne sich vorher umzuziehen. Mit Arbeitsklamotten geht er hier nicht hinein. Es ist ein andächtiger Moment. Acht bis zwölf Leute passen vielleicht auf die winzigen türkisfarbenen Bänke, die aussehen, als wären sie für Elfen gezimmert. Behutsam öffnet Hildibrandur die Holzklappen, die das Gemälde über dem Altar schützen. Es ist sein größter Schatz und stammt aus dem 17. Jahrhundert, sagt er. Das Bild ist dunkel und zeigt Jesus mit zwei Jüngern im Schein eines Lichts beim Brechen des Brotes. Und egal, von welcher Kirchenecke aus man es betrachtet, immer scheint es, als schaue Jesus einem direkt in die Augen. Hildibrandur, der große Haifischmann, sieht plötzlich aus wie ein stolzer Junge. Vermutlich stamme das Gemälde aus der Rembrandtschule, erzählt er. Denn vor der Küste seien einst Holländer in Seenot geraten. In ihrer größten Not hatten sie von Weitem an der Küste eine kleine Kirche erblickt. Überleben wir, schworen sie, spenden wir ihr ein Gemälde. So kam es her und würde – Rembrandt oder nicht – anderswo wohl kaum so innig geliebt.
    Hildibrandur sagt, ich solle mich auf die Bank in der ersten Reihe setzen, dort sei ein besonders kraftvoller Platz. Dann hält er mit ein wenig Abstand die Hände über meinen Kopf und ich spüre, wie es plötzlich ganz warm wird. »Er gibt dir Energie«,

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