Wo Elfen noch helfen - Walter, A: Wo Elfen noch helfen
finden sie aufregend. Deshalb kommen die Journalisten her«, sagt Terry Gunnell. »Weil ihnen etwas fehlt.«
Keine Antwort von Vigdís und Jón
Doch die Elfen sind nicht das Einzige, was mir fehlt. Es sind auch die Antworten auf meine Anfragen für die Interviews mit Vigdís Finnbogadóttir und dem Bürgermeister Jón Gnarr. Ich hatte bereits Vigdís alte Nummer gewählt. Doch es ging jemand anderes dran. Ein Mann, der kein Englisch sprach. Die Nummer war offensichtlich nicht aktuell. Also stellte ich per Mail eine offizielle Interviewanfrage an das Fremdsprachen-Institut an der Universität von Island, das Vigdís ins Leben gerufen hat. Bei uns und in den meisten anderen Ländern macht man das als Journalist so – eine freundliche, offizielle Interviewanfrage stellen –, wenn man gern einen Gesprächstermin haben möchte. Vigdís’ Assistentin sagt mir am Telefon, sie werde meine Anfrage weiterleiten. Aber ich habe keine Antwort. Noch immer nicht. Seit Tagen.
Auch von Jón Gnarr habe ich nichts weiter gehört, außer dass es schlecht aussehe. Der Bürgermeister sei gerade in New York, sagte sein Assistent, seinen neuen Film auf dem Tribeca Filmfestival vorstellen und auch ansonsten sehr beschäftigt. Verdammt.
Und ich habe nur noch eine Woche in Island. Wie konnte das passieren? Die Dinge liefen hier doch sonst so einfach und unkompliziert. Langsam mache ich mir Sorgen. Nicht zuletzt, weil mein Verlag in der Vorschau für mein Buch schon ein Kapitel über den Bürgermeister angekündigt hat. Könnt ihr machen, hatte ich gesagt. Das klappt garantiert. Aber jetzt sah es plötzlich nicht mehr so aus.
Immerhin antwortet Andri Snær Magnason. Der 38-Jährige ist derzeit einer der bekanntesten Autoren Islands. Oder sagen wir es so: Für mich ist er das beste Beispiel einer isländischen Kreativitätskanone, die eine unkonventionelle Idee nach der anderen abfeuert. Bekannt wurde Andri etwa dafür, dass er mit 23 Jahren einen Gedichtband für die Supermarktkette »Bónus« schrieb. Bónus muss man dazusagen, ist das isländische Pendant zu unserem Aldi. Das Logo kennt jeder Islandreisende: Es ist ein grinsendes, pinkfarbenes Sparschwein auf gelbem Untergrund. Andri hatte den genialen Einfall, ein Buchcover daraus zu machen, »Bónus Gedichte« darüber zu schreiben und den Supermarkt-Besitzer zu fragen, ob man seine Gedichte nicht bei ihm verkaufen könne. Es sollte vor allem ein literarischer Bubenstreich sein. Denn es war das Jahr 1996 und die Medien prophezeiten gerade den Untergang der Poesie. Worauf der Autor mit Discounter-Gedichten antworten wollte, Konsumenten-Lyrik für den Alltagsleser. Der Inhaber von Bónus sagte Okay. Und so machten sie einen Vertrag, wie er im Lebensmittelgewerbe üblich ist: Andri bekam 50 Prozent vom Ladenpreis und musste sich im Gegenzug dazu verpflichten, zu haften, falls sein »Produkt« Schaden anrichten würde.
Schon schrieb er los. Andri lehnte seine Gedichte an Dantes »Göttliche Komödie« an und so kamen darin sowohl die Hölle (die Fleischabteilung), die Läuterung (die Reinigungsartikel)
und das Paradies (die Obstabteilung) vor. Andri dichtete Zeilen über den Schlachter, der die Buletten für die Hamburger herstellt, und auch darüber, dass der Supermarkt ihn selbst bereits durchdrungen hatte, weil Bónus-Ketchup durch seine Adern fließt. Der Gedichtband richtete keinen Schaden an. Im Gegenteil. Er wurde ein Bestseller und war bald ausverkauft. Ein paar Jahre später brachten sie ihn noch einmal heraus, dieses Mal erweitert um einen Slogan, den man von Discountern kennt. Auf dem Titel stand in großen Lettern: »33 Prozent mehr Gedichte«.
Überhaupt sprengt Andri immer wieder alle Erwartungen und Genres. Nach der Supermarkt-Lyrik schrieb er ein Kinderbuch. Auf die Idee kam er, als er seinen eigenen Kindern Gutenachtgeschichten vorlas, darunter eine, in der ein Bär einen Fisch wieder freilässt, weil er ihn nicht töten möchte. Stattdessen schlägt er seinen Freunden im Buch vor, lieber einen »Hotdog« essen zu gehen. »Keine Fische töten, aber Hotdog essen? Läuft da nicht irgendetwas falsch?«, fragte sich Andri und hörte sich fortan alte isländische Reimgedichte an, die die isländischen Omas den Kindern früher zum Schlafengehen vortrugen. Dabei stellte er fest, dass die mitunter ziemlich gruselig waren, aber dass das den Kinder trotzdem nicht geschadet hatte. Sie vertrugen offensichtlich mehr, als man dachte. Vielleicht sollte man sie also besser ernst
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