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Wo geht's hier nach Arabien

Titel: Wo geht's hier nach Arabien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Springer
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passiert nichts. Bis auf das, was immer passiert. Der Durchfall.
    Die Ahnungslosen wiegeln gleich leichtfertig ab: » Habe ich auch schon gehabt«, » Morgen ist es vorbei«, » Kommt von der Hitze«. Wer einen Rest an Verantwortungsbewusstsein in sich trägt, lässt sich auf dieses gewissenlose Gerede nicht ein. Der schnelle Stuhl nach dem Frühstück kann nämlich tödliche Konsequenzen haben. Noch ist die Diagnose ungewiss: Cholera, Ruhr oder– Bilharziose. Und das bedeutet den sicheren Tod im Wüstensand.
    In über 70 Ländern gibt es Bilharziose, 200 bis 300 Millionen Menschen sind weltweit damit infiziert, 600 Millionen sind gefährdet, 90 Prozent der infizierten Deutschen bringen es aus Afrika mit. Und da will jener unselige Wicht mit dem plötzlichen Toilettendrang gerade derjenige sein, den im Bilharziose-Risikogebiet Assuan-Stausee nur eine harmlose Diarrhö überfallen hat!
    Wer auch nur mittelmäßigen ärztlichen Verstand besitzt, weiß, dass das leichte Fieber eben kein Hitzschlag ist, der Juckreiz nicht von den Wanzen im Bettzeug herrührt, der Husten nicht von verirrten Brotkrümeln stammt, und dass die geschwollene Leber eben nicht von den letzten Whiskey-Colas an der Beach-Bar kommt. Zweifellos ist es die Bilharziose.
    Der Name der Krankheit klingt zwar nach Ärztelatein, hat aber damit nichts zu tun. Als die Infektionskrankheit im Jahr 1851 in einem Krankenhaus in Kairo an einer Leiche entdeckt wird, steht ein deutscher Arzt mit einem lustigen Namen am Seziertisch: Theodor Bilharz. Und schon hatte die merkwürdige Krankheit einen Namen.
    Er stammt aus Sigmaringen, ist also gebürtiger Schwabe und hat zu seinem Heimatort sicher so etwas gesagt wie: » Semmaringa«. Viel kann damals dort nicht los gewesen sein. Dem Buben Theodor ist offenbar langweilig, und er jagt und fängt Schmetterlinge. Er hat bald eine prächtige Sammlung davon, und für ihn geht es los mit den Naturwissenschaften. Er studiert Botanik, Anatomie und Medizin, aber auch die Archäologie, Philologie und antike Kunstgeschichte, am Ende dreimal mehr Fächer, als im berühmten Faust -Monolog erwähnt werden. Das Mischmasch an Studienfächern klingt zwar nach dem typischen Werdegang eines Bummelstudenten, aber im Alter von erst 25 Jahren macht er schon seine Promotion.
    Er ist Arzt, kennt sich aus mit wirbellosen Tieren, also Würmern. In jenen Jahren, also in der Mitte des 19. Jahrhunderts, interessieren sich die meisten jungen Menschen in Deutschland allerdings für andere Dinge. Die Eisenbahn ist gerade erfunden, alle reden über sie, aber nicht annähernd jeder Zweite ist mit so einem rasenden Teufelszeug schon unterwegs gewesen. Revolutionen gibt es an jeder Ecke. Die Bürger begehren auf gegen ihre verschlafenen Monarchen. Sie wollen anständige Zeitungen und weniger Polizeispitzel, oft sogar eigene Meinungen, was die Fürsten wiederum nicht verstehen. In Frankfurt am Main gründet sich die Deutsche Nationalversammlung, eine Art Parlament, das aber nichts zu sagen hat. Deutschland steht ganz am Beginn der Demokratie, also findet die Rednerei dort kein Ende. Die Masse der Abgeordneten sind Juristen, vielleicht liegt es daran. Frauen, Arbeiter und Bauern, also die, die aus der Sicht der Akademiker keine Ahnung von Politik haben, sind natürlich nicht zugelassen. Im Jahr 1850 gibt es zwar auch noch keine » Ärzte ohne Grenzen«, aber man weiß bereits, dass es auf der Welt hinten und vorne fehlt an einer anständigen medizinischen Versorgung. Auf den jungen Sigmaringer Arzt wartet daheim nicht Papas Praxis, die es zu übernehmen gilt, denn Papa ist Beamter. Also zieht Theodor Bilharz hinaus in die Welt. Sein jüngerer Bruder geht als Arzt nach Nordamerika, Theodor nach Ägypten. Er wird Assistent bei Wilhelm Griesinger, dem Direktor des ägyptischen Medizinalwesens. Dort wird Theodor Bilharz im Alter von 30 Jahren Professor und lehrt daraufhin an der Hochschule in Kairo Medizin. Er entdeckt bei einer Obduktion den bösen Wurm, der sich in die menschliche Haut bohrt, vorher aber seinen Schwanz abwirft. Das scheint anstrengend zu sein, denn der Wurm ruht für drei Tage, um dann sein infektiöses Werk fortzusetzen. Detailreicher muss sein vernichtendes Werk hier nicht geschildert werden. Wir alle kennen ja ähnlich Unappetitliches aus dem schlimmen Krankheitsverlauf jenes sagenhaften Mückenstichs: Anfangs

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