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Wo gute Ideen herkommen.: Eine kurze Geschichte der Innovation. (German Edition)

Wo gute Ideen herkommen.: Eine kurze Geschichte der Innovation. (German Edition)

Titel: Wo gute Ideen herkommen.: Eine kurze Geschichte der Innovation. (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Johnson
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offiziellen Kanon geschafft haben, aber nichtsdestotrotz die Konventionen des Genres mit definierten. Das Gleiche gilt für den Kubismus, Sitcoms, romantische Dichtung, Jazz, den magischen Realismus, das Cinéma vérité, den Abenteuerroman, Reality-TV und so gut wie jedes kreative Genre, das je Beachtung gefunden hat. Im Bereich der Kreativität reichen die Schichten aber über die bloßen Genres hinaus, denn diese selbst fußen auf wieder anderen Konventionen und Techniken, die weit beständiger sind. Als Miles Davis sich mit »So What?«, dem ersten Stück auf dem Album Kind of Blue, von den Konventionen des Bebop Jazz lossagte, bewegte er sich immer noch innerhalb der Konventionen der dorischen D-Tonleiter, die, wie der Name andeutet, auf die Dorer im antiken Griechenland zurückgeht. Hinzu kommen noch die Instrumente selbst, die ihm nach wie vor als Plattform für die Musik dienten, zualleroberst Davis‘ Ventiltrompete. Frühe Trompeten sind fast genauso alt wie die dorische Tonleiter. Sie hatten noch nicht die komplizierte Ventilmechanik, mit der der Trompeter während des Spielens die Tonart wechseln kann. Die moderne Ventiltrompete, wie Davis sie spielte, kam erst im 19. Jahrhundert auf, nachdem Instrumentenbauer in ganz Europa jahrzehntelang an der Konstruktion gefeilt hatten. Davis konnte das Nächstmögliche des Jazz erkunden und ein neues Genre entwickeln, auf dem wieder andere aufbauten, weil die dorische D-Tonleiter und die Ventiltrompete schon erfunden waren.
    In der Onlinewelt ist das schillerndste Beispiel für die Innovationskraft aufeinander aufbauender Plattformen die rasende Entwicklung des sozialen Netzwerkdienstes Twitter. Seine Schöpfer Jack Dorsey, Evan Williams und Biz Stone profitierten genauso von existierenden Plattformen, wie es zuvor die Gründer von YouTubegetan hatten. Die Beschränkung von Twitter-Nachrichten auf maximal 140 Zeichen hängt mit den Grenzen der SMS-Plattform zusammen, mit deren Hilfe die Nachrichten zwischen Netz und Mobiltelefonen verschickt werden. Noch faszinierender ist allerdings, was alles innerhalb von nur drei Jahren wiederum auf der Twitter-Plattform errichtet wurde. In den Anfangszeiten wurde Twitter noch als sinnloser Zeitvertreib abgetan, bestenfalls dazu geeignet, Freunden mitzuteilen, was man zum Frühstück gegessen hat. Heute werden über Twitter Nachrichten über politische Proteste verbreitet, weil sich so die Zensur umgehen lässt, der Customer Support für große Firmen wird zum Teil über den Dienst abgewickelt, Pressemeldungen verschickt, und es gibt noch Tausende andere Anwendungen, die die Gründer sich nicht hätten träumen lassen, als sie den Dienst 2006 ins Leben riefen. Twitter ist nicht nur ein Beispiel für kulturelle Exaptation, bei dem die Nutzer für ein Werkzeug neue Anwendungsmöglichkeiten fanden, sondern sie entwickeln das Werkzeug ständig weiter.
    Die Konvention, einem anderen User mit einem vorangestellten @-Zeichen zu antworten, war eine spontane Erfindung der Twitter-Gemeinde. Die frühen Twitter-User übernahmen eine Konvention der Chat-Plattform IRC und begannen, Themen mit Hashtags wie in »#30Rock« oder »#Eröffnung« zu ordnen. Auch die Möglichkeit, Tweets live mitzuverfolgen – die großes Werbepotenzial birgt und deshalb mitentscheidend für die wirtschaftliche Zukunft des Dienstes sein wird –, wurde von einer anderen Startup-Firma entwickelt. Dank dieser Innovationen können Feeds, sei es zu einer politischen Debatte oder zur letzten Episode von Lost, live mitverfolgt werden – ein mittlerweile für die Nutzer nicht mehr wegzudenkendes Feature. Im ersten Jahr war diese Form der Interaktion aber technisch noch gar nicht möglich. Die Gründer von Twitter haben sozusagen einen Taschenbackofen erfunden, umdann ein Jahr später festzustellen, dass die Käufer ihn mittlerweile zur Mikrowelle weiterentwickelt haben.
    Die große Mehrheit der Twitter-User nutzt die Plattform mittels Software, die von Dritten entwickelt wurde. Es gibt Hunderte von iPhone- und Blackberry-Applikationen zur Verwaltung von Twitter-Feeds, die alle von engagierten Hobbyprogrammierern oder kleinen Start-ups entwickelt wurden. Es gibt Dienste, mit denen sich Fotos hochladen und mit den eigenen Tweets verlinken lassen, andere Apps zeigen dem User an, welche Twitter-Nutzer sich gerade in der Nähe befinden. Bei den Tools, die auf Twitter.com angeboten werden, hat sich in den letzten Jahren zwar kaum etwas getan, aber dafür wimmelt es anderswo

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