Wo immer Du bist, Darling
ab.
Sie öffnete die Tür, hob ihren Sohn aus dem Sitz und stellte ihn neben sich ab. Sofort nahm Adrian ihre Hand.
Der Kubaner war ihr gefolgt und schnappte überrascht nach Luft, als er in das Kindergesicht sah. »Ramon. Er sieht aus wie Ramon«, stotterte er, dann sah er sie fragend an.
Anja lächelte und nickte.
Wortlos schloss er sie in die Arme und drückte sie samt Adrian an sich. Diese schlichte Geste rührte sie zutiefst.
Als sie sich von ihm löste, zupfte Adrian neugierig an ihrem Rock herum. Sie blickte erst auf ihren Sohn, dann auf den Mann vor sich.
Er nickte sofort verstehend. »Ich werde so lange auf ihn aufpassen«, beantwortete er ihre unausgesprochene Frage.
Sie ging neben Adrian in die Knie und strich ihm über die schwarzen Haare, die wie üblich wild von seinem Kopf abstanden. »Adrian, ich muss jetzt für eine kleine Weile an den Strand. Möchtest du so lange bei dem netten Mann hier bleiben?«, fragte sie behutsam und zeigte auf seinen Großvater.
Adrian sah ihn ebenfalls an, dann nickte er in seiner typisch offenen Art. »Ja, okay. Wo gehst du hin, Mama?«, wollte er trotzdem wissen.
Zu deinem Vater. Anja schluckte den Kloß im Hals hinab. »Ich möchte am Strand jemanden besuchen. Sei so lieb und warte hier so lange auf mich. Ja?«
»Ist gut.« Adrian gab ihr einen Kuss auf die Wange, ließ ihre Hand los und schob vertrauensvoll seine kleinen Finger in die seines Großvaters.
Der alte Kubaner lächelte ihr aufmunternd zu. »Gehen Sie. Er wartet auf Sie.«
Sie erhob sich, sah ihm dankbar in die Augen, dann wandte sie sich auf unsicheren Beinen um.
Langsam ging sie in Richtung Meer. Nach einigen Schritten blickte sie noch einmal zu den beiden zurück. Sie standen immer noch da und sahen ihr hinterher.
Ihre Finger glitten in die Rocktasche, umfassten die kleinen Holzfiguren, während sie wie in Trance weiterging.
Wie betrunken und vollkommen aufgelöst stolperte sie den Weg zum Strand hinunter, der sich allmählich strahlend hell zwischen den Stämmen der Palmen abzeichnete.
Kuba, Tortuguilla, 30.07.2012, 18:02 Uhr
Anja blieb stehen. Selbst wenn ihr Leben davon abgehangen hätte, wäre es ihr unmöglich gewesen, noch einen einzigen Schritt zu gehen.
Er saß im Sand. Barfuß, die Beine angewinkelt und den Rücken ihr zugewandt, blickte er aufs Meer. Die sanfte Brise zerzauste sein schwarzes Haar, umspielte die weißen Hosen und ließ das offene Hemd leicht um seine breiten Schultern flattern. Alles an ihm war so unendlich vertraut. Sie hätte ihn unter Tausenden von Männern wiedererkannt. Ihre Knie versagten. Schwindelnd kippte sie gegen eine Palme.
Nicht einmal fünfzig Meter vor ihr saß er. Der Mann ihrer Träume, der Vater ihres Sohnes, die Liebe ihres Lebens. Dort saß Ramon.
Anjas Herz wollte zerspringen und die Übelkeit kehrte mit einer Heftigkeit zurück, dass sie sicher war, dieses Mal den Kampf gegen die Ohnmacht verloren zu haben. Ohne bewusste Absicht krallten sich ihre Finger um die beiden Holzfiguren, bis deren Kanten in ihre Handfläche schnitten. Der plötzliche Schmerz aktivierte ihren Körper und brachte einen Hauch von Leben zurück. Keuchend legte sie die Wange an den rauen Stamm. Dann starrte sie Ramon wie hypnotisiert an, als könnte er sich in Luft auflösen, sobald sie auch nur eine Sekunde den Blick abwandte. Sie schluckte. Tränen brannten in ihren Augen.
Jetzt, wo sie ihn leibhaftig vor sich hatte, konnte sie erst recht nicht mehr glauben, dass sie ihn nach fast fünf Jahren wiedersah. Doch es war kein Traum. Ramon saß wirklich dort im Sand. In Fleisch und Blut. Schluchzend flüsterte sie seinen Namen.
Er konnte das leise Geräusch unmöglich gehört haben, trotzdem drehte er sich um. Die Muschel, die er in Händen gehalten hatte, fiel zu Boden. Unter seiner tiefen Bräune wurde er kreidebleich.
Sie brachte keinen Ton heraus, blickte genauso gebannt zurück. Er hatte sich nicht verändert, sah noch genauso atemberaubend aus wie früher.
In einer einzigen Bewegung sprang Ramon auf die Füße. Er machte einige Schritte, fassungslos, ungläubig zunächst. Dann begann er zu rennen, immer schneller und schneller, bis er schließlich in irrsinnigem Tempo durch den Sand auf sie zukam.
Anja ließ die Palme los und stürzte ihm entgegen. Ihr Herz, ihre gesamte Seele schrie danach, ihn endlich zu berühren. Gleich würde sie bei ihm sein. Nur noch fünf Meter. Noch zwei …
Mit voller Geschwindigkeit traf sie auf ihn. Die Wucht des
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