Wo immer Du bist, Darling
Empfindungen sie in ihm auslöste, hätte sie ihn wahrscheinlich für verrückt erklärt. Er fand es ja selbst unheimlich, wie sehr ihn ihre Nähe erregte – besonders angesichts der unpassenden Situation.
Um sich abzulenken, konzentrierte er sich übertrieben sorgfältig auf die Straße. Garantiert anders als der rothaarige Sturkopf neben ihm, setzte er sich immerhin mit der Lage zwischen ihnen auseinander, wenn auch mit beschämendem Misserfolg.
In wenigen Stunden stiegen sie in getrennte Flugzeuge, würden in ihre 650 km voneinander entfernten Heimatstädte zurückreisen. Oliver konnte nicht gerade behaupten, dass er sich darüber freute. Seine Meinung über Carolin hatte sich in den letzten Wochen geändert. Trotzdem kannte er sie einfach zu wenig, um sich Hoffnungen auf mehr zu machen. Was bedeutete schon eine Berührung oder die Tatsache, dass sie sich von ihm umarmen ließ? Carolin vermied es geflissentlich, ihre Karten auf den Tisch zu legen, so viel wusste er inzwischen. Und nach seiner eigenen beschissenen Ehe galt das auch für ihn. Noch einmal wollte er nicht in einen Mann-Frau-Albtraum geraten.
So logisch diese Argumente auch klangen, seine Gefühle hielten hartnäckig dagegen. Es gab immer einen Weg, wenn man eine Sache wirklich wollte. Leider war Oliver klar, dass er dazu über seinen Schatten springen müsste, der so riesig war wie die Entfernung zwischen ihren Wohnorten. Dazu war er im Moment nicht fähig. Er war einfach noch nicht so weit, eine neue Beziehung einzugehen, vor allem nicht mit einem derartigen Temperamentbündel.
*
Carolin blickte verstohlen zu Oliver. Er gehörte zweifelsohne zu der Sorte Mann, die gern nachdachte. Aber gleich in diesem Ausmaß? Er sprach überhaupt nicht, schwieg so rigoros, dass sie sich beklommen fragte, ob sie ihn mit ihrem Ausbruch vielleicht dauerhaft beleidigt hatte.
Weil ihr beim besten Willen nichts Unverfängliches einfiel, sagte sie ebenfalls kein Wort, was bewirkte, dass sie die gesamte Strecke zurück nach San Francisco in spannungsgeladenem Schweigen verbrachten.
Als sie endlich ankamen, war die strahlende Sonne unter einer trüben Wolkenschicht verschwunden. Ein passendes Spiegelbild zu ihrer Stimmung.
Sie verabschiedete sich von Oliver im Flughafengebäude.
Nach kurzem Zögern reichte sie ihm die Hand und registrierte verwundert, dass er ebenfalls einen Moment zauderte, bevor er ihre Finger ergriff.
*
»Guten Flug, Carolin.« Oliver drückte stocksteif ihre kalten Finger, weil er sich seiner ganzen Überlegungen zum Trotz schwer beherrschen musste, sie nicht in die Arme zu reißen.
Sie lächelte ihn beinahe schüchtern an. »Dir auch.«
»Wir bleiben in Verbindung.«
»Ja, natürlich.« Langsam löste sie ihre Finger aus seinen.
Er angelte nach ihrem Gepäck, das neben seinen Beinen stand, und reichte es ihr.
Carolin dankte ihm leise, wandte sich ab und stöckelte auf ihr Gate zu. Kurz vor dem Eingang drehte sie sich noch einmal um. Oliver winkte kurz, rammte dann aber die Hände in die Taschen seiner Anzughose. Das war besser, als sie zum Festhalten einer gewissen Rothaarigen zu benutzen.
*
Carolin erwiderte Olivers Winken. Ein wehmütiges Gefühl nagte an ihrem Magen. Er machte keine Anstalten, zu seinem Flugsteig zu gehen, wartete offenbar, die Hände vollkommen untypisch in den Hosentaschen vergraben, bis sie durch die Glastüren ihres Gates getreten war.
Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie ihn von nun an nicht mehr täglich um sich haben würde, vermutlich erst wiedersah, wenn der Abschlussbericht aus den USA eintraf.
Das Bedürfnis, zu ihm zurückzurennen und sich mit einem leidenschaftlichen Kuss von ihm zu verabschieden, erstarkte mit einer Intensität, dass es sie hätte erschrecken müssen. Stattdessen fragte sie sich, wie ihr steifer Anzugträger wohl auf einen derartigen Angriff reagieren würde.
Als ihre Lippen verdächtig zu kribbeln begannen, schob sie die Idee hastig zur Seite. So etwas Unreifes würde sie auf keinen Fall durchziehen! Was Oliver anging, hatte sie in letzter Zeit sowieso nur verrückte Anwandlungen gehabt.
Sie beschränkte sich auf ein letztes Lächeln in seine Richtung, dann lief sie durch die Schleuse.
Während sie in das Flugzeug stieg, kehrten ihre Gedanken zu Anja zurück. In knapp fünfzehn Stunden würde sie eine Wohnung betreten, die nicht mehr länger von zwei, sondern nur noch von einer Frau bewohnt wurde. Der Gedanke daran deprimierte sie schrecklich.
In
Weitere Kostenlose Bücher