Wo immer Du bist, Darling
hat sie in den Rücken getroffen … Sie ist in meinen Armen gestorben.« Bei den letzten Worten veränderte sich Ramons Gesichtsausdruck, gefror vor ihren Augen wieder in die steinerne, emotionslose Maske, die sie nur zu gut kannte. Jetzt wusste sie, warum.
»Er wurde nie verurteilt«, sprach er nach einigen Momenten mit erschreckend nüchterner Stimme weiter. »Wahrscheinlich hat er Baker gedroht oder was auch immer. Jedenfalls hat er alles bestätigt, was Lacey behauptet hat. Jedes verlogene Wort. Der Tod meiner Mutter wurde von dem amerikanischen Untersuchungsausschuss als bedauerlicher Unfall abgetan, genau, wie Lacey es beabsichtigt hatte.«
»Und was hast du gesagt? Haben sie dir nicht die Möglichkeit gegeben, das Ganze richtigzustellen?«
Er presste die Lippen zusammen. »Glaubst du ernsthaft, dass jemanden interessierte, was ein schmutziger Kubanerjunge zu erzählen hat? Sie haben sich einen Dreck um meine Aussage geschert.«
Seine Wangenmuskeln arbeiteten, zeugten von der Wut, die unvermindert heftig in ihm brodeln musste. »Ich habe ein paar Tage später noch mal versucht, mit dem Kommandanten zu sprechen. Lacey hat das spitzgekriegt. Er hat mir noch in derselben Nacht mit einer Stahlkette klargemacht, dass ich bald so tot wie meine Mutter sein würde, wenn ich den Mund nicht hielte.«
Anja konnte nicht mehr atmen. Erschüttert streifte ihr Blick seinen Rücken. Daher stammten die Narben. Bei dem Gedanken an die furchtbaren Schmerzen, die Lacey ihm zugefügt haben musste, wurde ihr speiübel. »Dieses Schwein!«, keuchte sie und wischte sich wütend die Tränen von den Wangen. »Hat denn niemand gemerkt, was er dir angetan hat? Seine nächtliche Aktion muss doch jemandem aufgefallen sein.«
Ramon schüttelte den Kopf. »Seine Stubenkameraden haben geschworen, er sei an besagtem Abend gar nicht weg gewesen. Dagegen hat man keine Chance, Anja. Absolut keine.«
Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Er hatte recht. Oft genug hatte Carolin die gleiche Geschichte erzählt, wenn sie von Recherchen in Kriegsgebieten zurückkehrte. »Wie ist dein Vater damit klargekommen?«
Ein schmerzliches Lächeln huschte über sein Gesicht. »Überhaupt nicht. Er hat sehr gelitten. Aber am meisten hat mich getroffen, wie resigniert er sich damit abgefunden hat, dass der Gerechtigkeit wahrscheinlich nie Genüge getan wird. Damals habe ich begriffen, wie sehr wir uns schon haben unterdrücken lassen. Schließlich hatte Santos die Idee, in die USA zu gehen und dort zu versuchen, etwas zu bewirken. Wir haben uns auf einem Frachter versteckt und sind über den Hafen von Miami illegal eingewandert. Die ersten Monate haben wir uns bei anderen Kubanern versteckt. Dort sind wir dann auf eine ehemalige Organisation mit dem Namen La Mano de Cuba gestoßen. Santos und ich haben sie wieder ins Leben gerufen. Er war damals neunzehn, ich vierzehn. Eigentlich noch zu jung für so etwas, aber das war uns egal. Den Rest kennst du«, endete er langsam.
Anja sah ihn eine Weile schweigend an, streichelte nur mit der Hand seinen Nacken. Unwillkürlich fiel ihr etwas ein, was ihr schon länger durch den Kopf ging. Etwas, worauf sie ihn schon vor Wochen hatte ansprechen wollen. Sie schluckte, dann fasste sie sich ein Herz. »Was hast du damit gemeint, als du sagtest, du möchtest dir nicht noch eine Leiche auf die Fahne schreiben?«
*
Ramon schloss bei ihren zaghaften Worten aufgewühlt die Augen. Eigentlich war er froh, dass sie ihn danach fragte. Er hätte es ihr schon lange sagen müssen. Trotzdem ließ sich nicht abstreiten, welche Angst er vor ihrer Reaktion hatte. Was, wenn sie sich angewidert von ihm abwandte?
»Ich habe mich an einem Mord mitschuldig gemacht«, gab er unumwunden zu und sah sie an. In Anjas Augen stand keine Anklage, nur Mitgefühl und ehrliches Interesse. Etwas leichter ums Herz erzählte er ihr von Santos’ Überfall auf die beiden Männer und seiner Aufgabe als Scharfschütze.
»Ich hätte mich widersetzen sollen«, kritisierte er sein damaliges Verhalten. »Es war nicht richtig, was ich getan habe.«
»Nein, das war es nicht«, bestätigte sie. »Aber du hast das getan, was Santos dir aufgetragen hatte. Er hatte kein Recht, so etwas von dir zu fordern. Du warst fast noch ein Kind. Wie kaltherzig muss man sein, um so etwas von einem vierzehnjährigen Jungen zu verlangen?«
Ramon sah sie an, überrascht, wie wutentbrannt ihre Stimme klang. Er öffnete den Mund, doch Anja war noch nicht fertig.
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