Wo ist Thursday Next?
und helle Kiefernholz-Paneele. Die Bilder an den Wänden gaben verschiedene Buch-Desaster wider und zeichneten sich vor allem dadurch aus, dass stets ein breit grinsender Lockheed im Vordergrund stand. Es lagen keinerlei Ordner herum, und der einzige Aktenschrank enthielt wahrscheinlich nichts außer einem Wasserkocher und ein paar Keksen. Jurisfiktion hatte das papierlose Büro in die Tat umgesetzt, und alle Unterlagen befanden sich im fabelhaften Gedächtnis von Captain Fantastic am hinteren Ende des Korridors.
»Schickes Büro, was?«, sagte Lockheed. »Wir haben sogar ein Fenster – mit Aussicht. Kommen Sie, schauen Sie mal!« Ich ging zum Fenster und warf einen Blick hinaus. Alles, was ich sehen konnte, war eine Brandmauer, die etwa zwei Meter weg war.
»Sehr schön«, murmelte ich.
»Wenn Sie sich weit genug hinauslehnen und Sie jemand am Hemdzipfel festhält, können Sie sogar fast den Himmel sehen. Wollen Sie’s mal probieren?«
»Nein, danke.«
»Also«, sagte Lockheed, setzte sich auf seinen Drehsessel und wies auf den Besucherstuhl. »Gibt es etwas zu berichten über den Unfall?«
Ich schluckte. »Ja«, sagte ich und mein Herz wurde bleiern schwer. »Genau das ist es gewesen: ein Unfall.«
Lockheed stieß einen hörbaren Seufzer der Erleichterung aus. »Da wird Mr Herring aber froh sein. Wenn er schlechte Nachrichten kriegt, schlägt er gern mal jemand eine Brechstange über den Kopf, und ich stehe leider oft in der Nähe. Sind Sie ganz sicher, dass es nichts zu berichten gibt?«
Ganz kurz erwog ich, ob ich den Epizeuxis-Wurm, die ausgekratzten ISBNs oder den
Mord auf der Hareng Rouge
erwähnensollte – nicht nur, weil es moralisch richtig gewesen wäre, sondern vor allem, weil ich zu gern gesehen hätte, wie Lockheed Mund, Nase und Augen aufsperrte. Aber es gelang mir, den Impuls zu unterdrücken.
»Nichts, Sir.«
»Unvorhergesehen und unwiederholbar?«
»Genau das.«
Wieder spürte ich das bleierne Gefühl in meiner Brust. Ich wusste nicht, was es war, und fing an zu husten.
»Kleines Rädchen, große Maschine«, sagte Lockheed und füllte ein Formular aus, das ich unterschreiben sollte. »Wir sind dazu da, die Dinge zu vereinfachen und keine großen Reden zu schwingen. Je eher wir diesen Zwischenfall abschließen können, desto besser. Auf diese Weise können wir uns bald wieder den wirklich wichtigen Dingen im Leben zuwenden und haben weiterhin hundert Prozent aller Fälle erledigt, was ja ein tadelloser Rekord ist. Ein Rädchen greift ins andere, Thursday.«
»Ein Rädchen greift ins andere, Sir.«
»Haben Sie übrigens herausgefunden, um welches Buch es eigentlich ging?«
»Nein, keine Ahnung«, log ich. »Keine einzige ISBN war zu finden, und da hab ich mir gedacht: Was soll’s?, und einfach aufgegeben.«
Ich wusste selbst nicht, warum ich plötzlich sarkastisch wurde. Vielleicht hatte es mit den Bleigewichten in meinem Magen zu tun. Aber Lockheed bemerkte die Ironie sowieso nicht. Das war bei einem D3 nicht weiter erstaunlich.
»Großartig«, sagte er. »Ich sehe schon, dass Sie sehr gut mit Commander Herring auskommen werden. Wenn Sie weiter so viel charmantes Desinteresse bei Ihren Ermittlungen zeigen, können Sie sicher bald weitere Aufträge erwarten. Unterschreiben Sie bitte hier … und dann noch
hier
.«
Er schob mir das Formular hin und ich unterschrieb auf der punktierten Linie. Thursday hätte das bestimmt nicht gemacht, aber ich war ja nicht Thursday.
»Hervorragend«, sagte er und stand auf. »Ich bring das schnell zu Captain Fantastic zum Erinnern.«
»Ach, das kann ich doch machen«, sagte ich. Das eigenartig bleierne Gefühl in meinem Inneren hatte sich plötzlich in eine eigenartige Zielstrebigkeit verwandelt, auch wenn ich nicht wusste, wo ich damit hinsollte. »Bleiben Sie ruhig hier, trinken Sie einen Tee und essen Sie ein paar Kekse.« Ich nickte mit dem Kopf in Richtung des Aktenschranks.
»Du meine Güte, Sie sind ja wirklich
sehr
nett«, sagte Lockheed, verurteilte, indem er einen lächerlich großen Stempel neben meine Unterschrift setzte, die verlorenen Seelen des unbekannten Buches zu ewiger Namenlosigkeit und reichte mir dann das Formular. »Draußen, die vierte Tür auf der linken Seite.«
»Ja, mach ich.« Ich klinkte die Tür auf, bedankte mich noch einmal und traf auf den Froschmann, der im Korridor auf mich wartete. Ich sagte ihm, dass ich ein paar Dinge abspeichern müsste, und er führte mich an der »Piano-Abteilung«, der
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