Wo ist Thursday Next?
Sie müssen sich strecken und ducken und ausweichen, aber Sie müssen auch vorausahnen, wohin sich die andern bewegen wollen und wie sie
Ihnen
ausweichen wollen. Es ist eine Art ›Ausweich-Ballett‹. Versuchen Sie’s mal!«
Ich drang in die Menge ein, und praktisch sofort musste eine Frau abrupt vor mir anhalten.
»Entschuldigung«, sagte ich und ging weiter. Ich spürte, wie ich die flüssige Bewegung der Menge hemmte, und hörte leise Geräusche des Missfallens. Ich gelangte auf die andere Seite des Platzes, ohne mit jemandem zusammenzustoßen, aber nur gerade eben.
»Gar nicht so einfach, was?«, sagte Square, und ich musste zugeben, dass er recht hatte. Ich hatte gedacht, der Aufenthalt in der realen Welt würde einfach sein und alles weitestgehend so wie zu Hause, aber so war es nicht. Hier wurde nichts vorausgesetzt, alles musste tatsächlich
getan
und
beobachtet
werden. Und was noch eigenartiger war: Wenn man etwas getan hatte, war es nicht mehr vorhanden, und das Bewusstsein davon existierte praktisch nur noch in der Erinnerung. Ein, zwei Mal versuchte ich mich vorwärtsoder rückwärts in der Zeit zu bewegen, musste aber jedes Mal feststellen, dass das hier nicht funktionierte. Wenn ich fünf Minuten in der Zukunft sein wollte, musste ich tatsächlich fünf Minuten
real time
in die Zukunft rennen, und ein Zurück gab es nicht. Ich glaube, der Erzähler aus der
Suche nach der verlorenen Zeit
hat so den größten Teil seines Lebens verbracht: eingesperrt in einen lärmerfüllten, grell erleuchteten Käfig, der kaum zwei oder drei Sekunden hoch, breit und lang war.
Nach zwanzig Minuten war ich so weit, dass ich die Menschenmenge ohne allzu große Schwierigkeiten durchqueren konnte. Allerdings kam ich hin und wieder in die Situation, wo ich Leuten direkt gegenüberstand, die scheinbar immer in dieselbe Richtung ausweichen wollten wie ich. Am Schluss schaute ich meinem Tanzpartner in die Augen und dann lachten wir beide.
»Dieses Spiel kommt häufiger vor, wenn reale und fiktionale Leute sich treffen«, sagte Square. »Wenn die Außenländer wüssten, dass wir sie gelegentlich besuchen, würden sie uns daran wahrscheinlich am ehesten erkennen. Und natürlich an unserer Ungeschicklichkeit. Wenn man jemanden trifft, der kein Wasser kochen und kein Fenster aufmachen kann und nicht merkt, dass er mit einem unmöglichen Haarschnitt rumläuft, dann ist er wahrscheinlich fiktional.«
»Hm«, sagte ich. »Warum starrt mich diese Frau mit den extravaganten Klamotten so an?«
»Wahrscheinlich, weil sie Sie erkannt hat.«
»Muss ich nicht erst wissen, wer sie ist, bevor sie mich erkennen kann?«
»Nein, so funktioniert das hier nicht.«
»Thursday?«, sagte die Frau und kam mit einem breiten Grinsen und klappernden Armbändern auf mich zu. »Bist du’s wirklich? Wo hast du gesteckt in den letzten Monaten?«
Jetzt wurde mir klar, wer das sein sollte. Cordelia Flakk, die ehemalige Pressechefin von SpecOps. In meiner Serie war sie allerdings nur als vage Annäherung an diese Erscheinung hier sichtbar gewesen. Und was sie jetzt machte, wusste ich auch nicht.
»Hallo, Cordelia.«
»Wie geht’s den Kindern und Landen?«
»Gut, glaube ich.«
»Hast du von Hermione gehört? Sie ist in den Knast gekommen, weil sie versucht hat, ihre Steuererklärung zu fälschen. Dann wollte sie ausbrechen und ist mit zwei Säbelzahntigern in den Laufgang zwischen den Zäunen geraten. Was passiert ist, haben sie erst rausgekriegt, als ihre künstliche Niere und ein Armreif bei den Säbelzahntigern im … na, du weißt schon aufgetaucht sind. Ich will ja nicht, dass die Geschichte zu grausam wird.«
»Zu spät.«
»Alter Scherzkeks! Kommst du am Freitagnachmittag zu Penelope? Sie macht eine Party zu Ehren von Daphne Farquitt. Sie will uns natürlich bloß ihren neuen Liebhaber vorstellen.« Cordelia schob sich noch dichter an mich heran. »Ein
Neandertaler!
Kannst du dir das vorstellen? Natürlich sehr höflich, schläft aber am liebsten im Schuppen im Garten. Sie hat bestimmt ein paar saftige Storys über …
südliche
Dinge zu bieten. Nach ein paar Gläschen erzählt sie uns
alles,
wenn du verstehst, was ich meine.« Die Frau lachte. »Mein Gott! Schon so spät. Und ich steh hier und schwatze!« Sie senkte plötzlich die Stimme. »Handelst du eigentlich noch mit Käse?«
»Nein, eigentlich nicht …«
»Ein Pfündchen Limburger würde uns guttun. Nur so zum Appetitanregen. Also jede Sorte wäre uns recht. Ich meine,
Weitere Kostenlose Bücher