Wo niemand dich findet
lassen.«
»Alex.« Nathan ergriff ihren Arm. »Wenn du dich selbst reden hören könntest. Das alles ergibt doch keinen Sinn.«
»Ach, was ich sage, ergibt keinen Sinn?«
»Nein.« Er sah sie an. Sie meinte, sogar einen Anflug von Besorgnis in seiner Miene zu entdecken. Doch das war ihr egal. Sie war einfach zu wütend.
»Ich verstehe ja, dass du dir wegen deiner Mandantin Sorgen machst«, sagte er. »Aber du musst es auch mal von der anderen Seite sehen. Du hast nur die Geschichte dieser Frau, keinen einzigen Beweis. Dabei verdächtigst du einen hoch angesehenen Polizeibeamten des Mordes.«
Sie sah zu Boden. Zorn und auch eine gewisse Enttäuschung stiegen in ihr auf. Sie schluckte. Er glaubte ihr nicht. Und was noch schlimmer war, er hatte ihr Vertrauen enttäuscht.
»Darf ich dich mal was fragen?« Sein milder Ton versetzte ihr einen Stich.
»Was denn?«
»Schuldet Melanie dir Geld?«
»Ein bisschen.« Eigentlich sogar ein bisschen viel. Alex hatte die Kaution für die Wohnung in Florida aus ihrer eigenen Tasche bezahlt. Außerdem die Abschlagzahlung für Strom, Gas und Wasser.
»Könnte es nicht sein, dass sie dir aus dem Weg geht, weil sie nicht zahlen will?«
Alex wich seinem Blick aus. Das war durchaus möglich. Aber sie glaubte es nicht.
Im tiefsten Innern war sie davon überzeugt, dass Melanie
tot war. Und dass Craig Coghan sie auf dem Gewissen hatte. Melanie hatte Alex um Hilfe gebeten. Sie hatte niemand anderen gehabt, deswegen war sie zu Alex gekommen.
»Alex? Ist es denn völlig ausgeschlossen, dass du dich täuschst? Dass du einen Fehler gemacht hast?«
Sie sah ihm ins Gesicht. Bitterkeit machte sich in ihr breit. Lieber vertraute er einem Kollegen als ihr. Und nur weil der Kerl ebenfalls Polizist war. Sie hatte schon oft vom Korpsgeist bei der Polizei gehört. Doch so direkt war sie ihm noch nie begegnet.
Sie trat einen Schritt zurück, einen Schritt von ihm weg. »Mein Fehler war zu glauben, du würdest mir helfen.«
Captain’s Point war ein Nobelviertel an einem Hang über dem Lake Travis. Während des Höhepunkts der Internetblase hatten Heerscharen von Jungunternehmern sich dort riesige Villen gebaut und exzessive Partys gefeiert. Doch die Zeiten hatten sich geändert, und viele Yuppie-Spielplätze gehörten nunmehr älteren Rentnerehepaaren oder den Banken, die sie einkassiert hatten, wenn ein Eintagsmillionär seine Hypothekenzinsen nicht mehr zahlen konnte.
Ohne die pseudotoskanischen Bauten und atemberaubenden Ausblicke auf den See eines Blickes zu würdigen, fuhr Alex durch das Viertel. Sie war noch zu geschockt. Nathan irrte sich, es konnte nicht anders sein. Alex war es egal, wie viele Belobigungen Coghan sich an die Wand nagelte, der Kerl schlug seine Frau, und vermutlich war er auch ihr Mörder. Nur weil Nathan dazu keine verdammte
Akte finden konnte, bedeutete das nicht, dass es nicht geschehen war.
Von allen Ergebnissen, die Nathan bei seiner Kurzrecherche herausgefunden hatte, beschäftigte sie vor allem eines: der Parkplatzstreit, bei dem Melanie angeblich betrunken zu Coghan in die Arbeit gekommen war und ihn beschimpft hatte. Zum einen hatte Melanie vor Alex behauptet, dass sie nie trank. Und zum anderen schien ihr die schüchterne graue Maus, die vor Monaten Lovell Solutions betreten hatte, nicht zu einer solchen Szene fähig. Alex konnte sich nicht vorstellen, dass Melanie ihrem Mann überhaupt drohte, schon gar nicht in der Öffentlichkeit und vor seinen Kollegen. Konnte Coghan Zeugen für einen Streit aufgetan haben, den es überhaupt nicht gegeben hatte?
Oder war es möglich, dass Melanie eine andere Seite hatte, die Alex nicht kannte? Vielleicht war Melanie nicht nur ein traumatisiertes Opfer, das bei Alex im Büro eine ganze Packung Taschentücher vollgeweint hatte, sondern auch eine keifende Betrunkene, der es egal war, ob sie ihren Mann an seinem Arbeitsplatz bloßstellte.
Doch warum sollte sie seinen Ärger auf so theatralische Weise herausfordern, wenn sie sich wirklich vor ihm fürchtete?
Das alles ergab keinen Sinn. Zum ersten Mal begann Alex zu zweifeln. Vielleicht kannte sie Melanie gar nicht so gut, wie sie dachte?
Melanies Rückkehr nach Austin war idiotisch gewesen. Und danach war sie ebenfalls nachlässig geblieben. Nachlässig war aber auch Alex bei ihren Recherchen gewesen.
Natürlich lieferte das keinerlei Begründung dafür, dass Coghan einen ganzen Arbeitstag durch Captain’s Point gondelte und verschiedene Häuser besichtigte.
Weitere Kostenlose Bücher