Wo niemand dich sieht
Gedanken konnte ich einfach nicht abschütteln, aber das musste ich, wenn wir hier rauswollten.
Laura erhob sich. »Bist du aufgestanden, weil die Wirkung der Droge wieder stärker wurde?«
»Ja, aber es geht schon wieder. Mach dir keine Sorgen.« Aber dann schüttelte ich den Kopf. »Nein, vergiss, was ich gesagt hab. Falls ich dich irgendwie komisch ansehe oder anfange, komische Sachen zu sagen, dann schau, dass du wegkommst. Wenn das nicht geht, hau mir eine rein. Du musst dich selbst schützen, verstehst du?«
Sie schaute mich eine Zeit lang wortlos an, dann nickte sie. Als sie auf mich zuging, wich ich ihr aus und ging wieder zum Bett. Während sie ihr Gesicht am Waschbecken erfrischte, sagte ich: »Wir müssen uns überlegen, wie wir aus dieser beschissenen Zelle rauskommen.«
Beide betrachteten wir die Tür. Fenster gab es ja nicht.
»Glaubst du, dass wir was zu essen kriegen?« Ich war am Verhungern; mein Magen hatte schon vor langer Zeit zu knurren aufgehört, aber darum ging es mir gar nicht. »Wenn man uns wirklich was bringt, können wir vielleicht abhauen.«
Kaum zehn Minuten später brachte man uns tatsächlich etwas. Die Tür wurde rasch aufgeschlossen, und ein Junge kam mit zwei großen Tabletts auf den dürren Ärmchen herein. Hinter ihm stand ein Mann mit einer AK-47 im Anschlag. Er kam nicht herein, stand einfach nur im Türrahmen und hielt die Waffe auf meinen Bauch gerichtet.
Ich glaube, ich hörte nicht einmal, wie die Tür wieder verschlossen wurde. Alles, was ich sah, war das Essen: jede Menge Tortillas und Bohnen, Rindfleisch und Kartoffeln in einer roten, scharfen Zwiebelsoße. Ich war so hungrig, dass es besser schmeckte als alles, was ich bisher gegessen hatte.
Man hatte auch einen großen Krug Wasser dagelassen. Er war ziemlich schnell leer, denn die Soße war höllisch scharf. Nicht ein Krümel blieb übrig. Laura musterte die leeren Teller und meinte: »Ich hoffe bloß, dass uns nicht schlecht wird von der Völlerei.«
»Kein schöner Gedanke«, kommentierte ich und musste dabei an den Fall von »Montezumas Rache« denken, dem ich einmal erlegen war, als ich in der Nähe von Cozumel Urlaub machte. Vollkommen dehydriert war ich gewesen und am Ende ganze fünf Kilo leichter. »Ein Kerl mit einer AK-47. Ich denke, wir sollten uns beiderseits der Tür aufstellen, damit wir ihn, falls er noch mal allein kommt, überwältigen können.«
Laura nickte. »Leider haben wir nur dieses eine mickrige Kissen und die Decke. Ich werde sie so unters Laken stecken, dass es aussieht, als ob wir schlafen. Eventuell können wir sie ja für einen Moment täuschen.«
Das taten wir und bewunderten anschließend unser Werk. »Nicht gerade gut«, stellte ich bekümmert fest, »aber vielleicht funktioniert’s ja. Welche Seite der Tür willst du?«
Sie entschied sich für die Seite bei den Türangeln, und ich bezog neben dem Schloss Aufstellung. Laura hatte den schweren Porzellandeckel der Toilette abgeschraubt und hielt ihn nun an ihre Brust gedrückt.
»Die werden sich denken, dass wir nicht einfach nur rumsitzen«, überlegte sie. »Man wird erwarten, dass wir was aushecken. Möglicherweise beobachtet man uns sogar.«
Dasselbe hatte ich auch gerade gedacht. Ich erhob mich und durchsuchte das Zimmer Zentimeter für Zentimeter. Ich konnte nichts entdecken, das auch nur entfernt an eine Kameralinse oder ein Guckloch erinnerte. Ich hockte mich wieder neben die Tür. »Ich hoffe inständig, dass es Sherlock und Savich gut geht.«
»Vielleicht sitzt Sherlock ja auch gerade mit einem Toilettensitz in den Armen neben der Tür.«
Wir warteten. Ziemlich lange. Dann schliefen wir ein. Wir erwachten am nächsten Morgen. Meine Uhr sagte, dass es halb sieben war.
Wir benutzten nacheinander die Toilette und wuschen uns. Um exakt sieben Uhr hörten wir sie kommen.
21
Ein Schlüssel wurde im Schloss umgedreht. Die Tür öffnete sich langsam. Niemand sagte ein Wort, niemand kam herein. Ein Gaskanister rollte über die Schwelle. Ich sprang auf, schnappte mir das Ding und warf es in die Toilette. Sofort darauf betätigte ich die Spülung. Rauch quoll aus dem Porzellanbauch, und ich warf geistesgegenwärtig den Deckel zu. Gott sei Dank war nur ein wenig Rauch entwichen; ich hatte nicht viel davon eingeatmet und fühlte gar nichts.
Ein Mann lachte. Ich wandte mich um und begutachtete die beiden Männer, die im Türrahmen standen und mich beobachteten.
»Ast se hace!«, rief einer. Er hatte eine dröhnende
Weitere Kostenlose Bücher