Wo Schneeflocken glitzern (German Edition)
kommen mir vor wie ein sterbender Soldat auf dem Schlachtfeld«, spottete der General mit kaltem Lächeln. »Wenn man ein Gewehr auf sie richtet und sie dem Tod direkt ins Auge sehen, dann schreien sie alle nach mehr Zeit!«
Aber nicht Prinz Volkonski! Der hatte nicht um Gnade gefleht, als ihn die Soldaten in der Galerie gestellt hatten. Er war bereitwillig in den Tod gegangen, um seine Familie zu retten. Aber Werte wie »Liebe« und »Treue« bedeuteten dem General nichts – für ihn zählten nur Macht und Geld. Es hatte keinen Sinn, mit diesem Mann zu reden, dessen kalte Augen sich jetzt auf sie und ihre Freundinnen hefteten. Er quälte andere Menschen nur so zum Spaß, wie ein grausamer alter Heidengott, und er hatte etwas Primitives, Elementares an sich, gegen das man nicht ankam. Genauso gut hätten sie versuchen können eine Lawine mit einem Teelöffel aufzuhalten. All das wurde Sophie blitzartig klar, so wie sie intuitiv die Natur des Wolfes am See erfasst hatte.
»Ich hätte Galina Starowa den Job geben sollen«, zischte der General. »Viel verlässlicher. Viel skrupelloser.«
Galina Starowa? Was hatte die Frau mit dem General zu tun? Sophie warf Marianne einen Blick zu, aber weder sie noch Delphine hatten offenbar mitbekommen, was der General gerade gesagt hatte. Vielleicht hatte sie sich verhört?
»Lassen Sie uns in einer ruhigen Ecke weitersprechen, Prinzessin «, fuhr General Grekov fort, und es hörte sich an, als ob er ihr den Titel vor die Füße spuckte. »Unter vier Augen lässt sich leichter über Geschäfte reden.«
Er nahm den Arm der Prinzessin und steuerte sie die Marmortreppe hinauf zum Weißen Speisesaal.
»Bringen Sie mir Essen, Husar!«, rief er über die Schulter. »Reisen macht hungrig!«
Ivans Augen waren auf die Prinzessin geheftet, die jetzt am Treppenabsatz oben verschwand.
»Haben Sie mich gehört, Ivan?«, rief der General feixend. »Oder soll ich Ihnen Beine machen?«
»Zu Befehl, Herr General!«, rief Ivan. Mit kummervoller Miene schaute er die Mädchen an. »Warum hat sie ihn nur hierhergebracht?«
»Hat sie das wirklich?«, wisperte Sophie. »Ich glaube eher, dass er von selber gekommen ist.«
Marianne fügte hinzu: »Das ist kein Typ, der lange auf eine Einladung wartet.«
Prompt schallte die Stimme des Generals die Treppe herunter. »Na, was ist, ihr kleinen Engländerinnen?«, rief er scheinheilig. »Kein Getuschel und keine Verschwörungen bitte! Kommt herauf zu uns in den Speisesaal und singt den Erwachsenen was vor.«
Die Mädchen machten kehrt und gingen langsam wieder die Treppe hinauf, von flackerndem Kerzenlicht eingehüllt.
»Und außerdem«, sagte Marianne. »Woher soll Sophie etwas über die Volkonskis wissen?« Sie war genauso verwirrt wie Sophie.
Sophie spähte den Flur entlang zur Galerie. Die Tür stand noch offen. Wo waren die weißen Wölfe jetzt? Die Prinzessin brauchte doch ihre Beschützer! Aber irgendwie spürte sie, dass selbst das wilde Wolfswesen, das sie am See gesehen hatte, nicht stark genug war, um Anna Volkonskaja vor diesem Mann zu retten.
Anna Fjodorovna saß neben dem General am anderen Tischende. Er spielte mit einem Messer, während er auf sein Essen wartete. Die Prinzessin sah mürrisch und gekränkt aus. Ihr Gesicht war jetzt gar nicht mehr schön.
»Sie sitzt in der Klemme«, wisperte Marianne. »Irgendwas hat sie falsch gemacht.«
»Ich möchte nicht an ihrer Stelle sein«, fügte Delphine kaum hörbar hinzu. »So wütend, wie der General auf sie ist.«
»Steht hier nicht in der Tür herum und lasst außerdem das Getuschel!«, bellte der General. »Ich mag es nicht, wenn Frauen im Flüsterton miteinander reden – man weiß nie, was sie gegen einen aushecken.« Höhnisch drehte er sich zur Prinzessin um. »Anna kennt mich – sie weiß, dass ich großen Wert auf Offenheit und Ehrlichkeit lege. Was immer sie sagt oder tut, muss mir zugetragen werden.«
Die Prinzessin starrte Sophie Hilfe suchend an, als hoffte sie, dass sie etwas sagen würde. Aber was nur? Was in aller Welt konnte Sophie sagen, um diesen Mann zum Schweigen zu bringen?
Dann tauchte Ivan mit einem großen Silbertablett auf.
»Endlich!«, rief der General, obwohl Ivan nur ein paar Minuten weg gewesen war. Mit verächtlicher Miene schaute er zu, wie Ivan Platten und Schüsseln vor ihm abstellte. Wie konnte Ivan es nur ertragen, einen solchen Mann zu bedienen? Warum kippte er diesem Widerling nicht das ganze Essen über seine scharf gebügelte graue
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