Wo Schneeflocken glitzern (German Edition)
jagen!« Er lachte und schnitt sich ein Stück Fleisch ab. »Zur Zeit der Zarenherrschaft hätte man drei Rubel für jeden Wolfsschwanz bekommen. Weißt du, wie damals Wölfe gejagt wurden, Sophie?«
Er lächelte Sophie unter halb geschlossenen Lidern an. Das Fleisch, das er auf seine Gabel gespießt hatte, war nur kurz gebraten und noch ganz blutig in der Mitte, so dass der Fleischsaft auf den Teller hinuntertropfte.
Sophie wollte dem General ins Wort fallen, ihn am Sprechen hindern, wollte wegschauen, damit sie das blutige Fleisch nicht sehen musste, aber sie konnte nicht. Wie versteinert saß sie da.
»Die Jäger haben einen Teil des Waldes mit Netzen eingezäunt und Bauern am Rand aufgestellt, die laut schreien und mit schweren Knüppeln herumfuchteln mussten«, fuhr der General fort. »Dann sind sie mit einer Meute ausgehungerter Jagdhunde, die der Geruch nach blutigem Pferdefleisch halb wahnsinnig gemacht hat, in den Wald eingedrungen.«
Sophies Herz klopfte schneller. Sie dachte an Dimitri – an seine warmen, klugen Augen – und an den Wolf am See und vor ihrem Fenster draußen. Sie wollte nicht hören, was der General sagte, und beschwor im Geist die letzte Volkonski-Prinzessin herauf, wie sie das Wolfsjunge gerettet und im Palast gesund gepflegt hatte. Die Wolfsprinzessin hätte keine Wolfsjagden in ihrem Wald geduldet, so viel stand fest. Aber der General fuhr unerbittlich mit seiner Geschichte fort, forderte Sophie heraus, zwang sie zum Zuhören.
»Sie jagen also den Wolf, der vom Geschrei der Bauern und von dem Hundegekläff schon völlig durcheinander ist. In rasendem Tempo treiben sie ihn auf die Netze zu …«
Der General hielt inne. Er wusste, dass ihm alle im Raum gebannt zuhörten. Selbst Ivan stand stocksteif da und lauschte.
»Womm!« Der General knallte seine Hand auf den Tisch.
Marianne quiekte vor Schreck.
»Der Wolf, der um sein Leben rennt, läuft in die Falle. Er kämpft verzweifelt, um sich aus dem Netz zu befreien …«
Sophie klammerte sich mit aller Kraft an das Bild von Dimitri, wie er mit ihr im Kronleuchter gesessen und von Mondlicht und weißen Wölfen gesungen hatte, ein Lied, in dem seine tiefe Achtung vor diesen Wesen zum Ausdruck gekommen war. Wie würde jetzt seine Narbe zucken, wenn er hier mit ihnen im Raum wäre, wenn er neben ihr sitzen würde! Dimitri würde den General nicht einfach weiterreden lassen, das wusste Sophie.
»Die Jäger schauen dem Wolf ins Auge, in die Augen eines erbarmungslosen Killers, aber sie fürchten sich nicht. Der Wolf faucht und schnappt, in dem Glauben, dass er im nächsten Moment frei sein wird, aber da fällt ein zweites Netz über ihn. Hah! Schon ist er gefangen!«
Sophie schossen die Tränen in die Augen, als sie an den gefangenen Wolf dachte. Sie stellte sich vor, wie die Schreie der Männer und das rasende Hundegebell die Wahrnehmung des Wolfs trübten und verzerrten, wie ihm die Landschaft entglitt, durch die er sich bewegte. Nur die Angst trieb ihn jetzt weiter, die Panik. Aber wohin?
Der General schob sich den blutigen Fleischbrocken in den Mund und Sophie wurde fast schlecht bei dem Anblick.
»Das ist ja widerlich«, stieß sie hervor.
Der General überhörte ihren Einwurf. Und die Tatsache, dass er sie so völlig ignorierte, ließ sie viel schneller verstummen, als wenn er sie angeschrien hätte. Sobald er den Mund leer hatte, fuhr er fort: »Die Männer binden den Wolf an einer Stange fest und bringen ihn in einem Karren in den Wald des Zaren. Tapfere Jäger! Sie brechen ihm die Beine, damit er nicht laufen kann, und der Zar erlegt ihn höchstpersönlich, weil es sein Privileg ist, den Wolf zu töten.«
»Idioten!« Sophie schaute dem Mann herausfordernd in die Augen. »Das sind doch alles Idioten! Und wie können Sie sagen, dass diese Jäger tapfer sind? Für mich sind das nur Feiglinge. Und es ist kein fairer Kampf.«
Der General schüttelte den Kopf. »Wer sagt denn, dass ein Kampf fair sein muss, damit man Spaß daran haben kann?«, erwiderte er. »Diese Männer schießen den Wolf nicht einfach ab. Sie genießen die Jagd. Der Wolf und die Männer sind eins in dieser Jagd, verstehst du das nicht?«
»Aber der Wolf hat doch keine Chance!«, protestierte Sophie mit brennenden Wangen. Dieser Mann drehte einem das Wort im Mund herum. »Wie soll er sich denn wehren?«
»Dann wäre dir ein Duell also lieber?« Der General nahm sein Messer in die Hand, ließ es in die Luft schnellen und fing es geschickt wieder
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