Wo Träume im Wind verwehen
vierzehn. Das ist ziemlich alt für einen Hund.«
»Du liebst ihn sehr, oder? Er ist wie dein Kind.«
»Ich hatte ihn schon als ganz jungen Hund.«
»Als er brandneu auf der Welt war?«
»Nun, ganz so brandneu auch wieder nicht.«
»Ich wünschte, Mom würde uns erlauben, einen Hund zu haben. Und dass sie auf meinem Bett schläft. Ich würde nämlich ein Weibchen nehmen. Nichts gegen Homer, er ist ganz in Ordnung – ich weiß, dass er ein Rüde ist und so –, aber ein Junge im Haus reicht. Ich könnte Mark manchmal erwürgen …«
Caroline nickte von Zeit zu Zeit und hörte Maripats Geplapper zu, die sich über ihren Bruder, den Mangel an Haustieren, ihre Konkurrentin im Schwimmkurs, das schüttere Haar ihres Vaters und das unlängst entdeckte Eis am Stiel mit Zitronengeschmack und der Form eines Hais ausließ. Sie war dankbar, dass Maripat keine weiteren Fragen bezüglich Homer stellte. Fragen waren bei Kindern genauso natürlich wie der nächste Atemzug, und sie war ziemlich sicher, dass ihre Mutter Homers früheren Besitzer mit keiner Silbe erwähnt hatte. Caroline hatte gewiss nicht die Absicht, ihr die Geschichte jetzt zu erzählen.
Maripat führte die kleine Gruppe schwungvoll an, als sie die steile Felsentreppe hinaufstiegen. Während sie den Hund tätschelte und zum Durchhalten ermutigte, warf Caroline einen letzten Blick auf die Schiffe. Joe Connor. Wenn man die Wahrheit über Leben und Tod sagte, konnte man sich Ärger einhandeln, ganz gleich, wie man es auch drehte und wendete.
Als sie oben angelangt waren, legte Homer eine kurze Verschnaufpause ein. Das Anwesen grenzte im Westen an ein Naturschutzgebiet mit einem kleinen Wäldchen aus Eichen und Zwergkiefern. Das Gehölz, kühl und überwuchert wie ein Urwald, besaß eine geheimnisvolle Anziehungskraft. Homer bedachte Caroline mit einem hingebungsvollen Blick, dann drehte er sich um und verschwand eilends im Unterholz. Caroline sah ihm nach; sie vergaß nie, dass sie ihm zum ersten Mal in einem Wald begegnet war.
2. April 1978
Lieber Joe,
ich kann nicht glauben, dass ich Dich überhaupt noch nicht gefragt habe, ob Du Haustiere hast! Angeblich sollen Menschen entweder Katzen oder Hunde lieben, aber nie beides. Ich glaube, dann bin ich nicht normal. Ich mag Katzen und Hunde. Das Problem ist, ich lebe am Meer und bin eine Wasserratte, und das müssen meine Tiere auch sein. Ich habe einen Hund, dem habe ich das Schwimmen beigebracht, als er noch ganz klein war. Zuerst ist er untergegangen, und ich habe ihn im Wasser gesucht. Er strampelte im Seetang herum. Als er wieder auftauchte, schwamm er wie ein Weltmeister. (Genau genommen musste ich ihn retten – aber er sprang gleich darauf wieder ins Wasser!) Katzen stehen auf einem anderen Blatt. Sie rollen sich lieber auf der Fensterbank zusammen und hören den Wellen zu.
Ich muss jetzt los. Meine Schwestern drängeln, dass ich den Brief endlich beende und mit ihnen nach draußen gehe. Bis später!
Alles Liebe
Caroline
15. April 1978
Liebe Caroline,
ich muss mich kurz fassen, weil der Wind perfekt ist zum Segeln. Im Augenblick habe ich nur ein Haustier, mein Boot. Es ist fünf Meter lang, blitzschnell und frisst nicht viel. Wenn ich für den Rest meines Lebens auf dem Wasser sein könnte, wäre ich glücklich. Vielleicht mache ich das auch. Du bist ein Mensch, der Hunde und Katzen liebt; ich bin ein Mensch, der Schiffe liebt.
Alles Liebe
Joe
[home]
6
W arum starrst du Löcher in die Luft?« Augusta Renwick hasste die Stille. Ihre älteste Tochter stand vor dem großen Panoramafenster, das aufs Meer hinausging, und spähte durch Hughs Jagd-Feldstecher zur Long Island Bucht hinüber. Als Augusta vor einigen Stunden nach Hause gekommen war, trat ein beklommenes Schweigen ein, das sich wie eine graue Nebelbank im Raum ausgebreitet und Clea und Maripat bewogen hatte, den Besuch schleunigst zu beenden.
»Moment«, sagte Caroline. Augusta war gekränkt wegen des schroffen Tons. Sie setzte sich auf das kleine Zweiersofa, kuschelte sich unter eine Kaschmirdecke und nahm ihre Stickerei zur Hand, ein Kissen für Skye mit Schwänen und einem Schloss, das Leitmotiv aus
Schwanensee.
»Die Hälfte ist bereits geschafft«, sagte Augusta, krampfhaft bemüht, eine Unterhaltung in Gang zu bringen.
»Schwanensee.
War das nicht ein wunderbares Erlebnis? Weißt du noch, wie euer Vater mit euch ins Ballett gegangen ist? Nach New York City, und ihr hattet eure schwarzen Samtkleider an. Danach wolltet ihr alle
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