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Wo Träume im Wind verwehen

Wo Träume im Wind verwehen

Titel: Wo Träume im Wind verwehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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zwanzig Jahren. Sie hatte ebendiesen Feldstecher mitgenommen, um Hugh und einer Frau auf einer Wiese nördlich von Hawthorne nachzuspionieren, und sie spürte, wie Scham- und Wutgefühle sie erneut überkamen. Sie hatte die Mädchen im Schlepptau gehabt, die damals noch klein waren – neun, sieben und vier Jahre alt. Sie hatte ihnen nicht erklärt, was sie tat, aber vermutlich ahnten sie etwas.
    Ihre Töchter besaßen eine ausgeprägte Intuition, eine Gabe, die zuweilen ein Fluch sein konnte.
    Sie kniff die Augen zusammen und konzentrierte sich auf das Schiff, aber die Spannung war verpufft, vertrieben von ihrem schlechten Gewissen. Was für eine Mutter war das, die ihre Töchter mitnahm, um deren Vater nachzuspionieren?
    Vielleicht sollte sie sich eine Tasse Tee machen. Sie ging in die Küche. Eine kühle Brise blähte die weißen Gardinen an den Fenstern auf. Die Luft war frisch und roch nach Meer und Kräutern aus dem Garten. Augusta setzte den Wasserkessel auf, dann ging sie durch die Fliegengittertür in den kleinen, vertieft angelegten Kräutergarten. Homer folgte ihr hechelnd.
    Kreisförmig angeordnet, wuchsen Pflanzen im Garten, die bereits hundert Jahre alt waren. Augusta hatte Schösslinge und Ableger aus dem Garten ihrer Mutter in Jamestown und aus dem Garten ihrer Großmutter in Thornton. Immer wenn sie nach draußen kam, um Rosmarin, Salbei oder Thymian zu pflücken, spürte sie die Liebe dieser beiden Frauen, die ewig währte. Augusta hatte keine Geschwister. Sie war ein Einzelkind, und als sie drei Mädchen zur Welt brachte, war das für sie ein Segen und das schönste Geschenk gewesen, das sie sich vorstellen konnte.
    Dass die Schwestern sich so nahe standen, wie Augusta es selbst nie erleben durfte, hatte sie glücklich gemacht, als wäre es ihr Verdienst gewesen, ihnen etwas so Kostbares mit auf den Weg zu geben. Seufzend nahm sie auf einer Steinbank Platz. Sie bückte sich und ließ ihre Finger durch ein Büschel Minze gleiten, mit dunkelroten Stängeln und Blättern von einem stumpfen Grün. Als sie an ihrer Hand roch, fühlte sie sich in den Garten ihrer Großmutter zurückversetzt, bei der sie all die Liebe und Geborgenheit erfahren hatte, die sich ein Kind nur wünschen konnte. Genau die Gefühle, die sie ihren eigenen Töchtern und deren Kindern so gerne vermittelt hätte.
    Sie hörte ein Auto die Auffahrt heraufkommen. Das brach den Bann, doch Augusta blieb trotzdem, wo sie war. Sie erkannte am Motorengeräusch, dass es Carolines alter Jeep war. Augusta hätte ihr entgegengehen können, um sie zu begrüßen, aber sie rührte sich nicht vom Fleck. Sie wusste, dass es gut war, wenn Caroline sie im Kräutergarten antraf. Das würde sie milde stimmen. Die Kräuter stellten eine stillschweigende Verbindung zu einer glücklichen Vergangenheit her, zu Carolines geliebter Großmutter und Urgroßmutter.
    Homer lief zu Caroline, und Augusta wusste, dass er sie zu ihr führen würde.
     
    »Hallo, Mom.«
    Augusta öffnete die Augen. Sie sah verwirrt aus, als hätte sie geschlafen. Sie saß auf einer Bank im Garten, trug ihre Perlen und einen Strohhut gegen die Sonne, und in der Hand hielt sie ein Bündel Kräuter. Der Anblick ihrer Mutter, die im Kräutergarten der Großmütter saß und die Sonne und die Meeresbrise genoss, rührte Caroline.
    »Caroline!«, rief sie lächelnd aus.
    »Ich dachte, ich gehe eine Runde schwimmen. Hast du Lust, deinen Badeanzug anzuziehen und mich zum Strand zu begleiten?«
    »Das ist eine gute Idee. Lass mich nur schnell den Teekessel vom Herd nehmen.«
    Caroline ging nach oben, um sich umzuziehen. Sie benutzte das Schlafzimmer, das ihr Mädchenzimmer gewesen war. Es bot einen Ausblick auf den Strand, und von hier aus konnte sie auch Joes Schiff sehen. In ihrem schwarzen Badeanzug durchquerte sie barfuß den Flur im rückwärtigen Trakt von Firefly Hill. Dieser Teil des Hauses war kahl und dämmrig. Die Fußböden bestanden aus dunkler Eiche, die holzgetäfelten Wände waren geschwärzt vom Alter. Die Schlafzimmer und Wohnzimmer waren dagegen hell und voll mit Bildern und Möbeln. Dieser Bereich des Hauses, als Dienstbotentrakt angelegt, war ihnen immer unheimlich erschienen, und Caroline und ihre Schwestern hatten sich vor den Gespenstern gefürchtet, die in der Dunkelheit lauerten.
    Sie stieg die Verandastufen hinunter und wartete draußen auf ihre Mutter. Gemeinsam überquerten sie die Wiese, liefen durch das hohe Gras und die Wildblumen. Caroline ging voraus, über

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