Wo unsere Träume wohnen
Stühle, schlug die Hände vors Gesicht und brach in Tränen aus.
„Mommy?“ Besorgt tätschelte Julian ihr den Rücken. Sie zog ihn an sich und versicherte ihm, dass es ihr gut ginge, dann hob sie den Kopf. Rudy starrte sie entsetzt an. Rudy, der das Haus liebte und sah, was wieder daraus werden konnte.
„Alles in Ordnung“, sagte sie zu ihm und wischte sich halb lachend die Tränen ab. Was musste er von ihr denken? Wie aus dem Nichts tauchte ein mit Wasser gefüllter Bob-der-Baumeister-Becher vor ihr auf.
„Der ist vom Geburtstag meiner Neffen“, erklärte er, bevor er zur Arbeitsfläche ging und den Deckel von einer Dose nahm. Der Duft von richtiger Butter, braunem Zucker, Nüssen und Zimt stieg ihr in die Nase. „Ma ist Ungarin – sie ist dort geboren. Sie verbringt den ganzen Monat zwischen Thanksgiving und Weihnachten mit Backen. Das reicht mindestens bis Ostern.“ In der Dose lagen nur noch ein halbes Dutzend Kekse, kleine Kunstwerke aus Teig, Schokolade und glitzerndem Zucker.
„Ich kann doch nicht …“
„Wir haben noch drei volle Dosen“, unterbrach Rudy sie fast flehentlich. „Glauben Sie mir, Sie tun uns einen Gefallen.“
Julian umklammerte ungeduldig ihren Arm.
„Nimm dir ruhig einen“, sagte sie, und seine großen Augen leuchteten, als er sich einen halbmondförmigen, mit Puderzucker bedeckten Keks nahm.
„Wo ist Ihr Bruder?“, fragte Violet, während sie sich ebenfalls einen Keks nahm, dessen intensiver Geschmack ihr fast den Atem verschlug. Kauend zog sie den Mantel aus und betrachtete die vier Exemplare, die einsam auf dem Boden der Dose lagen.
„Der holt Material“, erwiderte Rudy und nahm sich ebenfalls einen Keks. Da waren es nur noch drei. Julian schaute seine Mutter fragend an, sie nickte, und schon waren es nur noch zwei. „Um den Fußboden abzuschleifen. Laut Wetterbericht wird es wärmer, also können wir die Fenster öffnen.“
Kaffee, dachte sie mit einem der beiden letzten Exemplare zwischen den Zähnen und ging zu dem alten grünen Kühlschrank. Er enthielt eine Dose mit Kaffee, Milch, Orangensaft und drei Becher Joghurt. Nachmittags gibt es immer Tee und Kaffee und die leckeren Kekse seiner Mutter, dachte sie, während sie den würzigen Kaffee in den Filter löffelte und sowohl die Sonne als auch Rudys Blick ihren Rücken wärmten.
„Hat Ihre Tochter sich schon ein wenig eingewöhnt?“
Violet spürte, dass entweder die Sonne hinter einer Wolke verschwunden oder die Frage ein echter Testosteron-Killer war.
„Warum wollen Sie das wissen?“, entgegnete Rudy.
„Na ja, Sie haben so etwas erwähnt, und im Restaurant sah sie nicht besonders begeistert aus. Aber ich weiß, das Alter ist die Hölle.“
Bei ihr war es auch aus anderen Gründen die Hölle gewesen. Sie öffnete den Schrank, in dem früher die Tassen gestanden hatten. Er war leer.
„Wir haben nichts aufgehoben“, erklärte Rudy beinahe entschuldigend.
„Das kann ich gut verstehen.“ Leise schloss sie die Schranktür. „Doris hat mich nie etwas wegwerfen lassen. Sie wollte alles behalten, was sie an ihren Ehemann erinnerte.“ Sie schaute in den Garten hinaus, in dem sie einmal gespielt hatte. „Seltsam, nicht wahr? Man erwartet immer, dass alles noch so aussieht wie früher.“
„Vielleicht hätte ich Sie vorwarnen sollen.“
„Es ist Ihr Haus, Rudy.“ Sie drehte sich um. Eine zweite Keksdose stand verlockend auf dem Tisch. „Ich bin nur die Angestellte.“ Manche Dinge änderten sich eben nie.
„Wir haben Campinggeschirr. Auf der Spüle. Und nein, Stacey ist nicht begeistert“, sagte er, als Violets Blick über das zerkratzte Laminat und das abgestoßene Porzellanbecken zu den Tellern und Bechern aus Metall wanderte. Sie trocknete zwei Becher mit einem Papiertuch von der Rolle ab und lauschte dabei Rudys tiefer, ungekünstelter Stimme, die so beruhigend war wie das Summen einer Biene an einem heißen Sommertag.
Und so gefährlich.
„Stace und ich haben ein Abkommen geschlossen. Sie gibt mir ein Jahr, um den Gasthof in Ordnung und zum Laufen zu bringen. Wenn sie dann noch immer unglücklich ist, verkaufe ich ihn, und wir ziehen zurück nach Springfield. Das habe ich ihr versprochen.“
Ihre Blicke trafen sich, und sie staunte über diesen Mann, der zu einem so großen Opfer bereit war, um sein Kind glücklich zu machen. „Das würden Sie tun?“
„Wie Sie selbst gesagt haben, für unsere Kinder tun wir alles, oder?“
Sie schaute zu Julian hinüber, der einen Keks
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