Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach
… So gingen wir weiter, mal still, mal ein paar Worte wechselnd. Dann kamen wir zu dem Restaurant. Nun war es auch an der Zeit, von dem zu sprechen, was wir essen wollten. Das entnahm ich ihren Worten, als wir uns an unseren Tisch setzten.
»Hier kann man gut Dorade essen. Echte Meerdoraden … Die kann ich empfehlen. Wenn du willst, können wir uns auch die Vorspeisen anschauen.«
Ich nickte. Wieder versuchte ich mit Gesten auszudrücken, daß ich gegen ihre Vorschläge keinen Einspruch erhob. Auch ich mochte gerne gegrillte Dorade. Sie zu entgräten verlangte ein wenig Geschicklichkeit, doch ich wußte, so etwas fiel mir nicht schwer. Wenn man ein wenig Zitrone drüberträufelte und vor allem wenn Zwiebeln dabei waren, konnte man vom Geschmack dieses Fisches wie von allen guten Grillfischen nicht genug bekommen … Wir setzten uns an einen der Tische am Fenster. Es ging auf zwei Uhr zu. Plötzlich glaubte ich, es wäre eine gute Gelegenheit, mich ein wenig zu produzieren.
»Eigentlich sind wir zur falschen Zeit hergekommen. Hierher könnte man auch bei Sonnenuntergang kommen. An einem Sommerabend … Vielleicht wenn sich der imbat , der Sommer-Monsun, gerade legt …«
Sie lächelte … Auf meine kleine Selbstdarstellung antwortete sie wieder mit den Blicken einer selbstbewußten Frau. Indem sie mir schweigend zu verstehen gab, sie sei mit mir einer Meinung … Ich hatte immer gerne eine Verbindung zwischen dem imbat und der Zeit des Sonnenuntergangs hergestellt. Obwohl ich mich irren konnte … Es war eine meiner selbstgeschriebenen Legenden meines Gefühls von Izmir …
Unsere Vorspeisen kamen. Wir begannen, unseren Raki in kleinen Schlückchen zu trinken. Ich wußte nun, daß wir uns auf den Weg in unsere Tiefen machen konnten, daß wir endlich anfangen konnten, uns auf den Weg zu machen. Und ich wußte auch, daß dieses Mahl zu den unvergeßlichsten meines Lebens gehören würde … Erwuchsen wirkliche Mähler nicht aus wirklichen Begegnungen und bekamen Bedeutung durch die Menschen? … Erbauten nicht Freundschaften, Schritte, die andere Farben ins Leben brachten, Berührungen die Geschichte jener Mähler? … Wir verharrten ein wenig schweigsam. Ich erinnere mich nicht, wie lange diese Stille dauerte. Wahrscheinlich nicht länger als ein, zwei Minuten. Im Vergleich zu manchen Zeiten war das zweifellos eine ganz kurze Zeitspanne. Doch wenn in solch eine kurze Zeitspanne solch tiefe Gefühle, die Überreste einer solchen Geschichte hineinpaßten, sich hineinpressen ließen … Ja, ich konnte spüren, wohin wir gehen würden. Auch woher wir kamen … Und sie? … Woran, an welchen Ort erinnerte sie sich in dieser Stille? … Wen fühlte sie, wie? … Ihre Worte, die die Stille beendeten, brachten in gewisser Weise die Antwort auf diese Fragen, sie gaben mehr oder weniger einen Hinweis darauf, wohin sie innerhalb weniger Augenblicke gegangen war.
»Es war nicht so leicht für mich, dahin zu kommen, wo ich heute bin …«
In dem Moment sah ich in ihrem Gesicht den Stolz, die Enttäuschung und den Zorn einer Frau, die den Kampf gewonnen, doch dabei tiefe Wunden empfangen hatte. Sie lächelte wieder, doch ihre Augen wurden feucht. Dieses Heute, von dem sie sprach, was war das für ein Heute? … Hatte der Fluß wirklich sein Bett gefunden? … Ließen ihre Ehe, ihre Arbeit, die Ordnung ihres Lebens, das Umfeld, das sie sich geschaffen hatte, sie nicht mehr nach dem verlangen, was sie irgendwo zurückgelassen hatte? … Als wir das Restaurant betraten, hatte ich gesehen, daß nicht nur die Kellner sie kannten, sondern auch Gäste, die an einem Tisch saßen. Offenbar hatte sie sich in ihrer Stadt ein Leben mit einem großen Bekanntenkreis geschaffen. Wie echt waren diese Beziehungen, wie lebendig waren sie? … Oder bestand ihr Leben aus einer langen, endlosen Abfolge von Fehlern, Irrtümern? … Das einzige, was ich tun konnte, um eine Antwort auf meine Frage zu bekommen, war, ebenfalls einen Schritt zu tun hin zu dem Punkt, auf den hin sie einen Schritt getan hatte, oder besser, wo ich spürte, daß sie angekommen war.
»Ich weiß ein paar Dinge …«
Ich lächelte ebenfalls und hoffte, ihr mit meinem Lächeln unsere alte Freundschaft, von der ich glauben wollte, daß sie nicht zu Ende war, aufs neue zu schenken, spürbar zu machen … Sie schaute mich an. Sie wollte verstehen, was und wieviel ich wohl wußte. Ich redete nicht lange herum. Es war nicht die richtige Zeit dafür. Ich erzählte ihr, was ich
Weitere Kostenlose Bücher