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Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Levi
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gleich sehen. Und es gibt noch viel mehr für dich zu sehen! …«
    Ich antwortete nicht. Genauer gesagt versuchte ich meine Bereitschaft, zu sehen, was es zu sehen gab, allein durch meine Miene mitzuteilen. Dann schlug ich mir mit den Händen auf die Knie, weil ich meine Bereitschaft zum sofortigen Aufbruch signalisieren wollte. Sie war mit übereinandergeschlagenen Beinen sitzen geblieben. Auf meine Bewegung hin setzte sie sich auf, und ihre Beine öffneten sich etwas mehr. Auch diese Stellung war sehr aufreizend. Versteckte sich hinter ihrer Unbefangenheit ein anderes Spiel um Anerkennung, die sie bewußt oder unbewußt erleben wollte? Das Leben hatte mich gelehrt, daß die Frauen für ihr Selbstbewußtsein solche Spiele manchmal brauchten, um ihre Macht zu erleben und spüren zu lassen. Irrte ich mich? … Wer weiß … Doch ich war mir sicher, was die Schönheit, ja das Aufreizende ihrer Beine betraf. Ja, es zeigte sich, was man sehen sollte … Und es gab wohl keinen Hinderungsgrund, das Sehenswerte in dieser Weise zu sehen … Diese Seite ihres Charakters hatte ich in den Jahren unserer Freundschaft vor vielen Jahren nicht bemerkt, nicht gesehen, ja, mir nicht einmal vorstellen können … Der Geist, das Gefühl jener Tage waren anders … Was war dann das Gefühl der Gegenwart? … Hatten wir uns verändert, oder hatte sie sich im Laufe der Jahre zu einer höchst attraktiven Frau entwickelt? … Es war nicht wichtig, darauf die richtige Antwort zu finden. Eine innere Stimme sagte mir, ich müsse mich zusammenreißen, und diese Ermahnung war schließlich für diesen Moment gewichtig genug. Wir standen auf. In ihrer Stimme und ihrem Benehmen lagen Entschlossenheit und eine, wie soll ich sagen, befehlsgewohnte Art. Oder war auch dies der Ausdruck einer weiteren, versteckten, verdrängten Schwäche? …
    »Du weißt wahrscheinlich, wo in Izmir man gut Fisch essen kann …«
    Ich mußte auf diese Worte mit einer kleinen Neckerei reagieren … Ich hatte wieder Gelegenheit, mich ein bißchen zu produzieren. Ich mußte zeigen, daß ich die Stadt kannte.
    »Fisch ißt man im Deniz-Restaurant.«
    Statt des erwarteten Lobes erntete ich ihre leicht abschätzigen Blicke. Wieder betrat die Frau, die es besser wußte, die Bühne.
    »Richtig, dort ist es ebenfalls sehr schön. Doch dorthin gehen eher die Feinschmecker aus Istanbul …«
    Ich wußte nicht, wie wahr oder falsch das war, was sie sagte. Doch es gab keinen Zweifel, daß ich für ein Mittelding zwischen Beleidigung und indirektem Kompliment für würdig befunden wurde. Ich setzte das Spiel natürlich fort.
    »Es hätte mich gewundert, wenn du dich anders geäußert hättest … Wo gehen wir hin? …«
    Nun konnte auch sie das Spiel fortsetzen.
    »Das wirst du sehen … Wir gehen ein wenig weiter. Das Wetter ist schön. Wir laufen ein bißchen. Du gehst mit mir in Izmir spazieren, nicht schlecht, was? … Schau, deinetwegen habe ich meine bequemsten Schuhe angezogen, ungelogen.«
    Auf diese Worte hin mußte ich natürlich auf ihre Schuhe gucken. Sie hatten die gleiche Farbe wie ihr Gürtel, der bei unserer Umarmung meinen Bauch berührt hatte. Die Schuhe ließen alle Zehen frei, hatten vorne ein weißes Band, hohe hölzerne Absätze und wurden an den Fesseln gebunden. Wenn das ihre bequemsten Schuhe waren … Wie konnte sie sich auf diesen Holzdingern wohl leicht aufrecht halten? … Ich konnte diese Frage nicht beantworten. Doch ich unterließ es natürlich nicht, ihre Füße zu begutachten, die zu bemerken mir in unseren alten Tagen nicht einmal in den Sinn gekommen war. Es waren nicht die schönsten Füße, die ich in meinem Leben gesehen hatte, und doch hatten sie ihren Reiz. Sie waren leicht mollig, die Fußnägel waren ein wenig eingewachsen, aber gepflegt. Und natürlich gab es Nagellack … In derselben Farbe wie die nicht allzu langen Fingernägel, in einem Rotton, der mir ein wenig zu gewagt erschien … Wieder versuchte ich mit Gesten und Blicken auszudrücken, ich sei bereit für alles, was auf mich zukäme. Wir verließen die Hotellobby und fingen an zu laufen. Sie hängte sich bei mir ein. Diese Ungezwungenheit gefiel mir und auch die Wärme ihres Körpers, der meinen Körper berührte … Ich roch jetzt stärker ihr Parfum, das mir schon bei unserer ersten Umarmung in die Nase gestiegen war. Wurde ich an einen unerwarteten Ort gezogen? … Das konnte ich nicht wissen. Doch daß ich Anlaß zu dieser Frage verspürte, war schon bedeutsam genug. Mein

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