Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach
waren sehr gut. Ich habe sie nie so offen und lebhaft gesehen …«
Ich erklärte ihm das Nötigste und erzählte ihm ein wenig von dem ›Stück‹, wie es mir gerade aus dem Herzen kam. Alles, woran wir uns erinnerten und was wir fühlten, sei sehr wichtig. Alle Einzelheiten, alle Worte und die Geschichten dieser Worte in uns, ihr Widerhall … Ich konnte in dieser Situation nicht umhin, zu fragen, ob er das, was wir erlebt, gesehen hatten, als Anzeichen einer ›aufzeichnenswerten Besserung‹ ansehe. Er lächelte und gab keine Antwort. Möglicherweise dachte er, ich wollte selbst die geringste Gelegenheit ausnutzen. Doch war es auch möglich, daß er an dieser Frage sah, wie sehr ich mich auf den Kampf einlassen wollte. Vielleicht verstand ich deshalb nicht, worüber er lächelte. Jedenfalls aber sagte er nicht nein, er versuchte nicht, mich mit ›professioneller‹ Distanz von dieser Begeisterung eines ›Laien‹ abzubringen. Das war für unsereinen ausreichend. Ich bemühte mich, möglichst das Gefühl zu vermitteln, daß ich nicht mehr erwartete, sagte, daß ich in einigen Tagen wiederkommen würde, und verließ das Zimmer.
Auf der Rückfahrt versuchte ich, mich bis ins kleinste Detail an das zu erinnern, was ich erlebt hatte. Wie sehr doch im Grunde die Szene mit den Bildern, Worten und Gefühlen aus anderen Zeiten uns im Tiefsten ein Leben, unser Leben erzählte! So als bewegten wir uns auf einer seltsamen, ja, sogar etwas beängstigenden Schicksalslinie. Anfangs hatte ich nicht im Traum daran gedacht, daß jene unschuldigen Worte, Repliken von vor vielen Jahren, diesen Weg zurück in die Vergangenheit beschleunigen würden. Ich hatte mich selbst viel zu sehr eingeengt und Hoffnungen auf andere Schlüssel gesetzt … Auch diese Schlüssel konnte ich freilich weiterhin in meiner Tasche bereithalten. Schließlich war mir bewußt, daß sich die Tür noch nicht wirklich geöffnet hatte, noch nicht hatte öffnen können, daß es noch mehr Anstrengungen brauchte. Ich würde nicht aufgeben, was oder wer, welche Hindernisse auch immer sich mir entgegenstellen würden, und dieses Gefühl bestärkte mich in der Gewißheit, jene Brücke mit noch sichereren Schritten zu beschreiten. Darüber hinaus machte diese Gewißheit auch die Einladung noch bedeutsamer, aufregender. An jenem Abend zu jener Einladung würden die wirklichen Helden des ›Spiels‹ kommen … Ich war auf dem richtigen Weg. Ich war auf dem richtigen Weg … Diesen Satz wollte ich ständig wiederholen. Immer wieder … Um mich nicht zu verirren … Um meine Existenz zu schützen … Um unseren Tod, das Leid, die Trauer zu überwinden, die aus unseren Toden erwuchsen … Zu jener Einladung würde auch Şebnem kommen, ja, sie würde ganz sicher kommen. Das Festhalten an diesem Glauben bedeutete inzwischen, an dem tiefsten ›Spiel‹ meines Lebens festzuhalten …
Es vergingen vier gewöhnliche Tage. Es gab keinen erinnerungswürdigen, aufzeichnenswerten Fortschritt, und doch bekamen diese vier gewöhnlichen Tage Bedeutung durch die in mir widerhallende Stimme, die mich in jenen Raum rief, hin zu dem, was jenes Bild erzählen wollte … Die Szene, die wir erlebt hatten, stand mir immerzu vor Augen. Wie weit würde ich in jenen Raum hineingelangen können? Um Antwort auf die Frage zu erhalten oder die Hoffnung darauf weiterhin aufrechtzuerhalten und mich mit dem Gesehenen auseinanderzusetzen, mußte ich es noch einmal wagen, mit dem kleinen, zitternden Licht in der Hand in jene Finsternis vorzudringen. Deshalb fuhr ich zum Krankenhaus. Als ich die Station betrat, sagte eine Schwester, ohne daß ich gefragt hätte, mit bedeutsamem Lächeln, Şebnem sei spazierengegangen. Sie könne nicht weit sein, sie hielte sich ja immer nur in der Nähe auf … Konnte sie nicht doch weiter weg gegangen sein, spazierte sie wirklich bloß immer in der Nähe herum? … Ich stellte mir selbst diese Frage, aber auch wenn ich die Schwester gefragt hätte, so hätte ich das, was ich wirklich wissen wollte, nicht erfahren. Ich begnügte mich deshalb wieder damit, still zuzuhören. Sie sähen, daß es ihr in letzter Zeit viel besser ginge. Wieder enthielt ich mich einer Antwort. Ich bedankte mich nur und ging hinaus. Auch dieses Mal sagte mir meine innere Stimme, es würde mir nicht schwerfallen, sie zu finden. Ich mußte nur ein wenig laufen, um zu sehen, daß ich mich nicht getäuscht hatte. Sie saß auf einer der Bänke nicht weit vom Stationsgebäude entfernt. Ich hatte
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