Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Levi
Vom Netzwerk:
andererseits war ich auch bereit, mein neues Spiel gut zu spielen. Nur durch eine solche Entschlossenheit konnte ich mich von der Berechtigung meines Daseins überzeugen. In dem veränderten wirtschaftlichen Klima konnte der Laden mit dem Verkauf von minderwertigen Drogeriewaren nicht weiterbestehen. Sogar mein konservativer Vater, der sonst immer an seinen fixen Ideen festhielt und im höheren Alter seine alte Unternehmungslust verloren hatte, begriff dies. Deshalb fiel es mir nicht besonders schwer, ihn davon zu überzeugen, ins Importgeschäft einzusteigen. So begannen wir mit dem Import von Essenzen und Ölen als Grundstoffen für Kosmetikprodukte und Nahrungsmittel. Um genau zu sein, der Grund für den Rückzug meines Vaters war nicht nur, daß er sich alt und müde fühlte. Auch er sah den Wandel. Es war nicht nur eine äußerliche Veränderung, er mußte zusehen, wie eine Kaufmannsmentalität langsam zusammenbrach, die Selbstgenügsamkeit und Solidität als höchste Werte geschätzt hatte. Was er sah, das sah ich auch. Der Unterschied zwischen uns beiden rührte daher, daß wir das Geschehen von einem anderen Standpunkt aus betrachteten. Zudem starb auch noch Kemalettin Bey … Es waren dies die letzten Szenen des Spiels, dem er seine Jahre geschenkt hatte … Das Leben gewährte ihm in dieser neuen Epoche trotz all seines Wissens und seiner Erfahrung nur die Rolle eines Zuschauers, eines Gastes …
    Um auf mich zu kommen … Meine Chancen standen günstig. Binnen kurzem erkannte ich, daß man nicht allzu gescheit sein mußte, um viel Geld zu verdienen. Es reichte, wenn man erkannte, was am Markt fehlte. Diejenigen, die diese Lücken am schnellsten bemerkten, stellten sich bei Themen wie ›Suche nach der Tiefe des Lebens‹ und ›Wertschätzung von Feinheiten in zwischenmenschlichen Beziehungen‹ dümmer an als ich, sie waren zudem weniger gebildet. Diese neu entdeckte Tatsache war für mich ziemlich ärgerlich. Ich lehnte mich aufs neue gegen das auf, was ich erlebte. Doch am Ende gab ich auch diesen Kampf auf. Es war eigentlich gar nicht so wichtig, wer sich in welche Lüge oder welchen Betrug verrannte. Auch wer welchen Egoismus als Sieg ansah … Außerdem hatte ich nach ein paar Jahren eine Position erreicht, in der ich mir mit Geld mühelos einige Wünsche erfüllen konnte. Das hatte ich von mir nicht erwartet. Auch hätte ich nicht erwartet, daß mein Selbstvertrauen gehörig steigen würde dank der Position, die ich so leicht erreicht hatte. Doch so war es nun einmal. Diesen Akt des Dramas, wenigstens diesen Akt, hatte ich den Regeln entsprechend zu spielen gewußt. Dies alles hatte ich zweifellos für mich getan, so wie jeder andere, der das Milieu ernst nahm, aus dem er kam, in dem er aufgewachsen war und mit dem er irgendwie nie hatte brechen können. So wie ich damals fühlte, konnte ich nicht wissen, daß derjenige, der das Leben wirklich ernst nahm, vor allem dadurch vorwärtskam, daß er das ausblendete, was die Persönlichkeit des Menschen einengte. Deshalb arbeitete ich viel. Ich stürzte mich in die Arbeit. Ich war ja vom Zauber der Vertröstung auf später besessen … Eines Tages würde ich das erwünschte Leben führen … Das Leben führen, das ich wünschte … Was war das für ein Leben? … Wie war dieses Leben? … Die Antwort oder die Antworten darauf hatten keine große Bedeutung. Es war nicht einmal notwendig, eine Antwort zu finden. Vielleicht lag der Zauber darin verborgen, daß es keine Antwort gab … Das Verführerische einer Hoffnung war ausreichend. Irrtümer und Lügen, die einem ermöglichten, eine solche Zeit leichter zu ertragen, waren ausreichend. Ein Gefühl von Morgen im Heute war immer noch ausreichend, selbst wenn es andere Ziele zeigte …
    Trotz all meiner Versuche, mich in Phantasien und Selbstbeschwichtigungen zu flüchten, konnte ich einer Frage nicht ausweichen, die mich beunruhigte, ja meinen Verstand manchmal regelrecht verwirrte … Ich war zwar noch nicht bereit, mich mit der Realität, auf die meine Frage verwies, auseinanderzusetzen, wie es nötig war, und doch beunruhigte mich irgendwie eine Vermutung. Warum soll ich das verheimlichen? Hatte ich wohl das Bemühen um geschäftlichen Erfolg wegen meines Vaters auf mich genommen? … Lag die Ursache des Strebens nach Erfolg darin, mich meinem Vater gegenüber zu beweisen, rechnete ich vielleicht damit, ihm sogar überlegen zu sein? War es möglich, daß ich von mir verlangte, auf diese Weise meine

Weitere Kostenlose Bücher