Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach
empfindsam und gescheit sein, um diesen liebevollen Worten zu entnehmen, daß sie in ihren vermutlich langen Gesprächen alle möglichen Gefühle ausgetauscht hatten. Das Bild wurde noch deutlicher durch den freundlich strengen Ausdruck der Worte, die Necmi an mich richtete.
»Hör mal! … Wenn du dem Mädel das Herz brichst, dann breche ich dir den Arm, du vertrockneter Schürzenjäger!«
Çela wandte sich ebenfalls zu Şebnem um und setzte sich auf ihre Weise in Szene.
»Bedien dich ausgiebig, Mädel … Ich habe von dem Kerl sowieso die Nase voll!«
Nun war ich an der Reihe. Hätte ich auf das Gesagte nicht geantwortet, dann hätte diesen ganzen Foppereien womöglich etwas gefehlt.
»Ich sehe schon, wie sehr ich geliebt werde! … Vielen Dank, wirklich!«
Ganz abgesehen von diesen Späßen war klar, daß jeder sich auf seine Weise ein wenig entspannen wollte. Die Nacht erwartete von uns wohl auch diese kleinen Fluchten … Dieser Spaziergang war für mich sowohl eine verdiente Belohnung als auch Gelegenheit zu einem schmerzhaften Gespräch … Ich zog es vor, meine Gefühle nicht zu offenbaren. Das, was man sagen konnte, würde noch gesagt werden. Wir gingen weiter. Wir konnten einander in jenen Augenblicken lediglich unser Schweigen schenken … Ich schaute zu den Bänken am Ufer hin. Nie hätte ich gedacht, daß ich noch einmal mit ihr hierherkommen würde. Ich hatte mich einem solchen Traum verschlossen, war weit entfernt gewesen von dieser Möglichkeit … Ich zeigte auf eine nahe Bank und fragte, ob wir uns setzen sollten. Das Licht des Mondes erleuchtete nicht nur das Meer, sondern auch unsere Gesichter. In diesem Licht konnte ich das Leuchten in ihren Augen sehen. Denn das war es, was ich sehen wollte. Sie schaute mich an und gab eine Antwort, die bewies, daß sie sehr wohl verstanden hatte, was ich fühlte.
»Was können wir denn anderes tun?«
Ich gab keine Antwort. Vielmehr konnte ich nicht. Wir setzten uns und schauten eine Weile aufs Meer, schweigend. Ohne zu sprechen … Sie war es, die das Gespräch fortsetzte.
»Necmi hat zu mir gesagt, komm, laß uns miteinander leben …«
Während ich weiterhin aufs Meer schaute, stellte ich die in diesen Augenblicken einzig mögliche Frage:
»Und was hast du gesagt?«
Nach kurzem Schweigen antwortete sie:
»Gar nichts … Noch gar nichts …«
Auch ich schwieg. Es schien, als erwarte sie Unterstützung, eine Ermunterung. Ich sah mich in einer ziemlichen Zwickmühle. Auf der einen Seite war da das, was ich in mir zu vergraben versuchte, auf der anderen waren da die Gefühle meines Herzenskameraden, seine Erwartungen ans Leben, vielleicht seine letzten Erwartungen … Ich versuchte das, was wir erlebten, von einem Punkt her zu fassen.
»Dort kannst du nun aber nicht bleiben.«
Sie schwieg. Konnte sie meinen Standpunkt überhaupt teilen? Oder sah sie das Krankenhaus immer noch nicht als etwas, von dem sie sich weit entfernt hatte? … Wie nahe fühlte sie sich eigentlich der Welt, in der wir lebten, zu der sie erwacht war, die sie erneut zu kennen angefangen hatte? … Obwohl ich diese Fragen sehr gerne gestellt hätte, stellte ich sie nicht. So weit war sie vielleicht noch nicht. Oder ich war noch nicht soweit … Ich konnte ihr auch nicht mitteilen, wie schwer mir die neue Wendung der Geschichte fiel. Weil Necmi wahrscheinlich verlangen würde, ich müsse jene Seite des Lebens in mir begraben, hinderte mich dies wieder, eine Grenze zu überschreiten … Ich mußte einen anderen Weg einschlagen.
»Was denkst du, was du tun willst?«
Nach einer kurzen Weile des Schwankens kam die Antwort.
»Ich werde das Angebot von Necmi wahrscheinlich annehmen … Ich will es versuchen …«
Es wurde mir schwer, sogar mir selbst klarzumachen, was ich fühlte. Ich versuchte noch einmal, mir Necmi vorzustellen. Wie er mir schmerzlich zulächelte … Wie er mir von jener Ruine erzählt hatte. Ich hatte noch eine Frage, um zu verstehen, um besser verstehen zu können.
»Weiß er das?«
Dieses Mal ließ sie mich nicht lange warten. In ihrer Antwort lag eher Trauer als Hoffnung, eher eine Frage als ein Entschluß.
»Nein … Ich wollte es zuerst dir sagen …«
Warum zuerst mir? … Wer war ich für sie? … Konnte sie sehen, wer sie für mich war? … Vielleicht sah sie das ja. Vielleicht sah sie viel mehr, als ich vermutete. Vielleicht erwartete sie von mir auch mehr als Unterstützung und Mutmachen, vielmehr eine Zustimmung. Um sowohl mir als auch sich die
Weitere Kostenlose Bücher