Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach
erzählte er mir von Mihal als einem, der sich entschieden hatte, zu bügeln und Wäsche zu stärken. Ich ließ mir nichts anmerken. Offensichtlich gab es hier ein anderes Spiel, das unterschiedliche Gründe haben mochte. Gleichzeitig war dies ein Spiel innerhalb unseres Spiels, das dadurch noch bunter wurde. Auf diese Weise versuchten wir die meisten Sonntagabende zu überbrücken, wo uns unweigerlich Trauer befiel, weil wir am nächsten Tag in die Schule mußten. Einmal war er auch sehr eifersüchtig geworden, weil mir mein Vater ein Paar Pingpongschläger der Marke Yasaka gekauft hatte … Wie weit sind jene Tage nun entfernt … In dem Moment wurde mir bewußt, daß ich jene Schläger viele Jahre lang nicht benutzt hatte, nachdem wir uns getrennt hatten. Ich kannte die Einsamkeit sehr genau, die aus diesem Bewußtwerden entstand …
Allerdings konnten wir nicht mehr lange hier stehen und Wortgefechte führen. Es hatte gut angefangen. Ich hatte nichts dagegen, den Schmerz der vielen Jahre auf diese Weise zu vertreiben. Doch mußte ich auch zugeben, daß wir uns nicht gerade an einem Ort befanden, der sich für ein aufrichtiges langes Gespräch eignete. Seine Hand lag immer noch auf meinem Arm. Mit entschlosseneren Schritten näherten wir uns der Tür. In dem Moment konnte man in seinen Worten einen Hinweis darauf finden, was er erlebt und gefühlt hatte.
»Los, Junge! Laß uns abhauen, ehe die Lausebengel hier Onkel zu uns sagen … Dann hätten wir den Salat!«
Er hatte recht. Wir hatten uns das genommen, was uns der Ort geben konnte … Weiter dort zu bleiben hätte keinen Sinn gehabt. Wir gingen nach draußen. Es war ein sonniger, klarer Februarabend.
Wir gingen in Osmanbey langsam jene steile Straße hinauf. Wir sprachen nicht. Auf dem Weg zu der Stelle, wo ich meinen Wagen geparkt hatte, kamen wir an der Schule vorbei. In dem Moment wurde das Schweigen unweigerlich gebrochen. Eigentlich war seine Reaktion nicht besonders erstaunlich. Die Worte waren die des alten Necmi.
»Ich scheiße auf so eine Schule!«
Ich war natürlich beeindruckt. Denn diese Worte hatten eine Geschichte für uns. Ich lächelte. Besser gesagt, ich versuchte zu lächeln. Auch er lächelte … Wir erinnerten einander an das, was zu erinnern war. Wie hätten wir jenen Strafnachmittag und andere Strafen vergessen können … Dieser Protest gehörte zu dem Protest, der uns zu uns selbst machte … In aller Naivität … In aller Unschuld … Mit allem, was wir verloren hatten … Die ›Schauspieltruppe‹ hatte jene Schule nie geliebt. Ich hingegen versuchte, die Mitspieler der Truppe um eines ›Stücks‹ willen zusammenzubringen, das wir an der Schule aufgeführt hatten. Ich gab mir Mühe, deswegen kein schlechtes Gewissen zu haben. Schließlich hatte ich mich auf diesen Weg gewagt, um auch dem Unerwarteten zu begegnen. Meine Schritte würden uns natürlich in die Vergangenheit zurückbringen, der ich seit Jahren ausgewichen war und der vermutlich auch die anderen Spieler des ›Stücks‹ ausgewichen waren. Das war aber nur eine Möglichkeit … Ich wußte ja nicht, wer wo geblieben war, wer zurückkehren wollte oder nicht …
Mit meinen Zweifeln, Unsicherheiten und Erwartungen kamen wir zu meinem Auto. Als Necmi sein Schweigen, in das er sich für ein, zwei Minuten gehüllt hatte, in einer Weise brach, wie sie zu dem mir wohlbekannten Menschen paßte, war ich erleichtert.
»Oho, na aber! … Schau mal einer den Wagen an! … Du hast wohl gute Geschäfte gemacht! … Da haben wir es wohl auch bei dir nicht geschafft, dich zu assimilieren! …«
Hatte ich ihm die Geschichte meiner Beziehung zu Autos erzählt? … Von jenem Kleintransporter, den ich in einer der Gassen meiner Kindheit abgestellt hatte, die ich möglichst vergessen wollte, zu der ich aber manchmal zurückging. Hatte ich ihm erzählt, wozu und wohin mich dieser Kleintransporter geführt hatte? … Was ein geflügelter Chevrolet Impala in mir für Phantasien ausgelöst hatte … Wie ich seit jener Zeit von Autos fasziniert war, von Autos, die ich selbst haben wollte … Ich hatte sicherlich davon erzählt … Ich kann mich nicht genau erinnern, aber ich wußte, diese Geschichte konnte man nicht übersehen. Deswegen zeigte ich ihm meinen Audi A6, als führte ich mein Spielzeug vor. In dem Moment war ich wieder ein Kind. Wie ein Kind, das nicht ganz hatte erwachsen werden können … Und er? … Was fühlte er wirklich? … Ich wußte, ich konnte diese Frage nach den
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