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Wodka und Brot (German Edition)

Wodka und Brot (German Edition)

Titel: Wodka und Brot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mira Magén
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Ich beneidete sie nicht um ihre Oberschenkel oder um ihre glatte Haut, auch nicht um die Zuneigung, die der Sohn des Alten ihr entgegenbrachte, sondern um die unreife Selbstsicherheit ihrer Worte: »Ich lasse mir von niemandem sagen, was ich zu tun habe.« Und da war noch etwas. Es war dumm, gehörte eigentlich nicht dazu, und trotzdem – ich konnte nicht leugnen, dass er eine gewisse leichte Anziehung auf mich ausübte. Vielleicht wegen Madonna, die seine Härte aufgeweicht und einen zerbrechlicheren, menschlichen Amos hervorgebracht hatte. Er lehnte am Türpfosten, aufrecht, wie es seine Art war, aber nicht angespannt, und faltete die Hände, die ich bereits erwähnt hatte, über dem Kopf und machte nachdenkliche Pausen zwischen den Worten, von den Genen des Alten und dem Unglück, das ihm geschehen war, war nichts mehr zu sehen. Im trüben Küchenlicht arbeiteten auch die tiefen Falten, die das Leben ihm zugefügt hatte, zu seinen Gunsten.
    »Ich vertreibe dich schon seit ein paar Nächten aus deinem Bett, wenn der Junge nichts dagegen hat, schlage ich vor, dass ich heute Nacht bei ihm schlafe.«
    Nadav reagierte mit großer Aufregung auf diese Neuerung. Er zog schnell seinen Pyjama an, schob beide Füße inein Hosenbein, lachte über sich selbst, zog die Matratze, die an seinem Fußende lag, so weit, dass sie sein Bett berührte, legte sich auf die Seite, das Gesicht zur Matratze, und betrachtete gespannt den Gast, der die Nacht neben ihm verbringen würde. Was soll man sagen, ein Junge braucht einen Vater, und ein Vater braucht einen Jungen.
    Die beiden Bedürftigen unterhielten sich, bevor sie einschliefen, ich konnte nicht hören, was sie sagten, ich nahm nur das wohlklingende Duett aus einer Kinderstimme und einer Männerstimme wahr, die das beschissene Schicksal zusammengeführt hatte. Morgen am Nachmittag werden die achtundvierzig Stunden, die vor der Suche nach einem Vermissten verlangt werden, voll sein, morgen kommt die Polizei ins Spiel.
    Ich zog mir die Decke bis über den Kopf, ich wollte nicht daran denken, was die Polizei möglicherweise finden könnte. Plötzlich herrschten Stille, eine wache Stille, und Sehnsucht nach dem familiären Dreieck, das jeder von uns gehabt hatte, bevor alles zerbrochen war. Auch wenn es einen Ombudsmann in der Welt gäbe, der Welten erschafft und zerstört, würde ich ihm keine Erklärung schulden. Die kleine Diebin Rivka Schajnbach hat recht, dass sie ihn überlistet, dass sie seine Ordnung von vornherein austrickst und ihm keine Chance gibt, ihren Lebenslauf zu zerstören und sie mit einem Unglück zu überraschen. Wäre ich so jung wie sie, würde ich ebenfalls ausbrechen.
    Am nächsten Morgen stellten wir fest, dass die Sonne, die am Vortag den Kalender durcheinandergebracht hatte, nun zur natürlichen Ordnung zurückgekehrt war, sie hatte die Temperatur gesenkt, das Licht gedämpft und angefangen, sich dem Herbst zu ergeben.

9
    Der Mann, der bei uns die Nacht verbracht hatte, achtete darauf, die Bettwäsche zusammenzufalten und zu verschwinden, bevor wir aufstanden. Der Junge machte die Augen auf, betrachtete die leere Matratze und zog sich die Decke über den Kopf. Schade, hätte er den Morgenkaffee mit uns getrunken, hätte unser Tag gelassener angefangen. Die Sonne, die über unsere Dächer strich, war alt und schlecht gelaunt, auch diese Feuerkugel war nicht frei von der allgemeinen Ordnung, und es war gut, dass die Welt vorläufig noch unter ihrer Kontrolle stand. In fünf Stunden wird die Polizei in Erscheinung treten, und auch das war ein Teil der allgemeinen Ordnung. Jedes Ding hatte seine Zeit. Nach der polizeilichen Statistik war unsere Sorge um Gideon achtundvierzig Stunden nach seinem Verschwinden legal, genau genommen ab zwölf Uhr mittags.
    Nadav sagte: »Es ärgert mich, dass der Sohn von Herrn Levi schon weggegangen ist.« Aber er machte nicht viel Aufhebens darum. »Wann besuchen wir Papa?«
    »Ich weiß es nicht. Komm, beeil dich, sonst kommst du zu spät zum Kindergarten. Schau doch, was für ein Tag das wird. Bald beginnt der Herbst.« Vergeblich versuchte ich,ihn für die grauen Zugvögel zu interessieren, die sich auf dem Dach des Alten niedergelassen hatten.
    »Wird Papa sterben?«
    »Wieso denn das. So schnell stirbt man nicht.«
    »Doch, man stirbt so schnell. Erinnerst du dich an den Hasen, den Madonna uns gebracht hat?«
    »Bei Tieren ist es etwas anderes«, sagte ich entschieden. Wir fuhren zum Kindergarten. Er hängte seine Tasche mit

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