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Wodka und Brot (German Edition)

Wodka und Brot (German Edition)

Titel: Wodka und Brot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mira Magén
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entfernt  voneinander, dass es keine Verlegenheit gibt. Doch der Sprecher des Schicksals machte sich einen Spaß und brachte im Radio der Cafeteria das Lied von einem Mann, der über die Terrasse verschwunden war. Amos trommelte  mit den Fingern auf den Kaffeebecher in seiner Hand. Es waren die Hände eines Mannes, der den Boden bearbeitet, sie waren rau und bräunlich wie die Erde, trocken, mit tiefen Falten an den Knöcheln und mit starken, bis zur Kuppe heruntergeschnittenen Fingernägeln. Halte daneben die Hände eines Rechtsanwalts oder eines Geisteswissenschaftlers,  und  du wirst sehen, dass ihre Topografie ganz anders ist, dass sie gepolsterter sind, weicher und glatter.
    »Ein schönes Lied«, sagte ich.
    »Die Melodie ja, aber der Text? Ich weiß nicht. Kennst du jemanden, der über die Terrasse verschwunden ist?«
    »Mein Mann. Nicht über die Terrasse, aber er ist verloren gegangen.«
    Er hörte mit der Trommelei auf und schaute mich an. Er überlegte wohl, ob er sich nach dem Was und Wie erkundigen sollte, ob er sich die Beichte einer verlassenen Frau anhören wollte, eine jener Beichten, wie man sie für zehn Schekel in jeder Wochenendbeilage der Zeitungen lesen konnte.
    »Er lag im Krankenhaus, in der Neurologie, gestern hat er das Krankenhaus auf eigene Verantwortung verlassen undist seither spurlos verschwunden.« Ich gab mir Mühe, mich kurz zu fassen und es ihm zu ersparen, sich weiter darauf einzulassen, und ich hörte mich für mich selbst an wie eine Polizeisprecherin, die für die Suche nach einem alten, an Alzheimer leidenden Mann um die Mithilfe der Öffentlichkeit bittet. Doch der Sohn des Alten sollte ja nicht denken, dass der Mann, den ich verloren hatte, hilflos, verwirrt und armselig war.
    »Was tust du dann hier? Warum suchst du ihn nicht?« Er schaute mir in die Augen, und ich konnte den Blick nur schwer ertragen. In seinen Pupillen flackerte es wie elektrisches Licht. Das hielt ich nicht aus, ich floh vor seinem Blick zu den roten Geranien, die im Fenster der Cafeteria blühten.
    »Ich verlasse mich auf ihn«, log ich, »er weiß, was er tut.«
    »Das glaube ich nicht. Willst du noch einen Kaffee?« Er stand auf und brachte zwei dampfende Becher.
    »Du liegst richtig damit, mir nicht zu glauben. Ich bin völlig ratlos.« Diesmal wich ich seinem stechenden Blick nicht aus. Bis wir die Becher leer getrunken hatten, kannte er mehr oder weniger alle Fakten, er war informiert über Gideons monatelange Suche nach dem Sinn des Lebens, über die Zeit, die er bei den Fischen verbracht hatte, wusste von den Migräneanfällen, von den Tabletten, die er geschluckt hatte, und dass er dehydriert ins Krankenhaus eingeliefert worden war. Die umfassende Liste der Tatsachen ergab das Bild eines Sonderlings, dem sein Arbeitsleben schwerfiel. Wie sollte ich ihm erklären, dass der Mann, den ich geheiratet hatte, außerordentlich geschickt bei seiner Arbeit gewesen war und alles, nur kein Sonderling?
    »Du beschäftigst dich mit Botanik. Hast du irgendwann Pflanzen erlebt, die plötzlich ihre Natur ändern?«
    »Ich habe Pflanzen erlebt, mit denen es die Natur gut meinte, sie hätten allen Grund gehabt, zu leben, und trotzdem wollten sie sterben.«
    »Hast du sie gerettet?«
    »Als ich merkte, dass es das war, was sie wollten, habe ich nicht versucht, mich ihrem Willen zu widersetzen.«
    Die Geranien im Fenster der Cafeteria sahen aus, als würden sie das Leben genießen. Trotz einer Umgebung von Krankheit machten sie nicht den Eindruck, als würden sie plötzlich austrocknen. Der Mann mir gegenüber allerdings schon.
    »Möchtest du manchmal sterben?«, fragte ich.
    »Sagen wir mal so, nicht immer habe ich Lust zu leben.« Er drückte die Handfläche gegen den Pappbecher, saugte die Wangen mit den Clint-Eastwood-Falten ein und sagte: »Aber ich habe nie irgendetwas in diese Richtung unternommen, ich habe mich nicht auf Eisenbahnschienen geworfen, und ich habe keine Tabletten geschluckt. Übrigens, hast du dich an die Polizei gewandt?«
    Ich erzählte ihm von der polizeilichen Regel mit den achtundvierzig Stunden, und inzwischen waren noch nicht mal vierundzwanzig vergangen.
    »Bei selbst verschuldeten Unfällen sind sie innerhalb von Sekunden da, der Himmel stürzt auf dich, und sie legen dir auf der Stelle eine Akte an«, sagte er.
    Der Sohn des Alten war ein Fremder gewesen, als wir die Cafeteria betreten hatten, und er war fremd geblieben, nachdem wir zwei Tassen Kaffee getrunken hatten. Nun ja,

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