Wodka und Brot (German Edition)
hinzufügen: Ist es da ein Wunder, dass er abgehauen ist? Es blieben noch drei Stunden. Ich kontrollierte das Handy nicht, ich hörte den Anrufbeantworter von zu Hause nicht ab, ich hoffte auf keine Nachrichten. Ich wartete darauf, dass es zwölf Uhr wurde, um zur Polizei zu gehen.
Amjad war allein im Laden. Madonna hatte noch nicht angerufen, um mitzuteilen, dass sie sich verspäten würde und warum. Es war sein letzter Tag im Laden, und er schaute abwechselnd zum Billigmarkt auf der anderen Straßenseite und zur Bushaltestelle, an der Madonna zu erwarten war.
»Man hat ihn noch nicht gefunden«, beantwortete ich die Frage, die er nicht zu stellen wagte.
»Hoffentlich kommt er heute gesund zurück.« Er wich mir aus und schielte zu seiner Zukunft hinüber, die auf der anderen Straßenseite lag, bestimmt sah er vor seinem geistigen Auge schon Pyramiden von roten Paprikas vor sich, die er aufhäufen würde, die Pagoden aus Zucchini, die er bauen würde, gekleidet in das rote Hemd mit dem gelben Logo des Billigmarkts, er würde mit Tomaten vollgeladeneWagen von den Kühlräumen zu den Regalen schieben, die Gurken in Reihen ordnen, schimmelige und angefaulte Früchte heraussuchen und Petersilie und Koriander zu Sträußen binden.
»Soll ich dir einen Kaffee machen?«
»Mach einen für uns beide.«
Wir tranken schweigend, wie zwei Mumien, die jugendlichen Kunden hatten schon Brötchen und Kakao gekauft und waren zur Schule gegangen, die Alten waren noch nicht aus der Krankenkassenambulanz zurück, Gott hatte seinen Tag schon in Bewegung gesetzt, und das Leben nahm seinen Gang, und wir saßen da und tranken Kaffee. Jeder dachte daran, was ihn erwartete, da hörten wir plötzlich das weiche Geräusch von Autoreifen. Auch die Sonne war herausgekommen und strahlte aus aller Kraft auf den schwarzen Mercedes, der vor dem Laden anhielt. Eine glänzende Tür ging auf, und als erstes kamen zwei kleine Pappkartons heraus, dahinter zwei glatte Beine, und darüber Madonna in einem kurzen, lilafarbenen Kleid. Sie legte zwei Finger auf die Lippen, warf dem Fahrer eine hollywoodreife Kusshand zu, und der Mercedes fuhr los, zu irgendwelchen geheimnisvollen Gebieten. Madonna bückte sich zu den Kartons, nahm einen in jede Hand und tänzelte wie eine Primaballerina, die durch den Vorhang vor das jubelnde Publikum tritt, in den Laden, doch das Publikum bestand nur aus zwei von Sorgen zernagten Personen, die nicht jubelten. Einer fielen fast die Augen aus dem Kopf, und sie erstickte ein Lachen, die zweite war sauer wegen der Verspätung.
»Nun, was machen wir?«, rief uns Madonna entgegen, lief zierlich mit den zwei Kartons auf uns zu, eine aufgestellte Haarsträhne hüpfte auf ihrem Schädel und deutete auf den Inhalt einer der Schachteln hin.
»Ist dein Mann zurückgekommen?« Sie kam in ihrer ganzen Pracht durch die Tür und stellte die Kartons auf die Theke.
»War das dein Freund?« Amjad konnte sich nicht zurückhalten, erregt vom Anblick des prachtvollen Gefährts, das Madonna zu den Zeitungen und der Brotfront gebracht hatte.
»Ein Bekannter. Habt ihr gesehen, was für eine Klasse? Erste Sahne. So ist das auf der Welt, man gibt und bekommt.« Sie stand hinter der Theke, lilafarben und strahlend. »Los, hört auf, so bedrückt zu sein.« Sie verströmte einen leichten Alkoholgeruch, nahm nun das Brotmesser, zerschnitt die Schnur, mit der der eine Karton zugebunden war, zog die beiden Laschen des Deckels heraus und verbeugte sich in Amjads Richtung.
»Für dich, ein Abschiedsgeschenk.« Die erschrockenen Augen dreier Flügelträger glänzten im dunklen Karton, ein Pfauenküken, dessen Stirnschopf zu wachsen begann und dessen Schwanzfedern noch nicht gewachsen waren, und zwei zitternde Stieglitze, die sich aneinanderdrängten.
»Ein grüner Pfau, gib ihm Würmer, Schnecken oder Kakerlaken, dann wird er schnell groß, auf seinen Schwanzfedern wachsen blaue Kreise, so blau wie die Augen von Schwedinnen.«
»Wer hat sie dir gegeben? Sie sind schön, die kleinen Vögel.« Amjad beugte sich über die Schachtel.
»Sie sind für deine Kinder, und ich wünsche dir viel Erfolg im Supermarkt.« Sie breitete ihre Hände über die Schachtel, wie Priester ihre Hände während des Segens ausbreiten, die kleinen Vögel hüpften erschrocken in der engen Schachtel herum, und sie hinderte sie daran, in die Freiheit zu flattern. Während der ganzen Zeit hatte sich auch Lebenin der zweiten Schachtel geregt, es wurde gegen die Seitenwände
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