Wodka und Brot (German Edition)
zerbrochenen, musste aus den Vertiefungen der Kartons getrocknetes Eiweiß abkratzen, während Mercedesse Entfernungen zurücklegten und man sich auf ihren Rücksitzen mit gekühlten Weißweingläsern zuprostete. Der Fall war hart, und von Sekunde zu Sekunde verflog der Einfluss des Alkohols auf die Leichtigkeit des Seins.
»All diese Eier haben Hühner geschissen, es ist doch eklig, etwas anzufassen, was ihnen aus dem Arsch gekommen ist. Da lohnt sich doch das Klauen.« Sie rückte den lilafarbenen Glanz zu den Eierkartons und atmete tief, bevor sie das Produkt der Hühnerärsche berührte. Etwas zerbrachin Madonnas Babuschka, Rivka Schajnbach kam heraus und beugte die schmale Wirbelsäule über die Kartons und fing an, die Eier zu sortieren, obwohl sie mit Leichtigkeit hätte hinausgehen und sich einen Mercedes schnappen können, geben und nehmen. Und wenn Rivka Schajnbachs Babuschka einen Riss bekäme, welche Form und welches Aussehen hätte dann die kleine Puppe, die in ihr steckte. Jemand verlangte Brot, ein anderer Oliven, und wieder einer kaufte eine Zeitung und Zigaretten, die Tasten der Kasse klapperten abwechselnd und die Zeiger wanderten weiter, in einer Stunde werde ich vor den Polizisten sitzen und Gideons Verschwinden wird in den Listen auftauchen, und er wird eine Nummer und eine Akte bekommen. Und was ist, wenn der Gideon, den ich kenne, nur eine äußere Babuschka ist, die viele andere Gideons enthält, die in ihr leben? Und wer ist dann der innerste, der verborgenste, der am besten bewachte? Zart und empfindsam? Bitter und hart? Man kann hundert Jahre mit einem Menschen leben und weiß doch nichts von ihm.
Jonathan rief an, um mich an die Polizei zu erinnern, und vor allem, um sich nach meinem Befinden zu erkundigen. Es ist gar nicht so selbstverständlich, dass ich einen Bruder habe, der von weitem auf mich aufpasst und mit dem ich mich noch aus der Zeit verbunden fühle, in der wir Kissenschlachten machten. Hat Rivka Schajnbach einen Bruder? Eine Schwester? Das Lila löste sich vom Laden und sammelte sich wieder in ihrem kleinen Kleid, ihre Seele sehnte sich nach etwas, aber wessen Seele sehnt sich nicht nach etwas? Ich ging zum Waschbecken im Lager, wusch mir das Gesicht, kämmte mich vor der rostigen Spiegelscherbe. Ich nahm meine Tasche, sagte, ich hätte etwas zu erledigen, und hinterließ sechs saure Seelen, einschließlich der Geschöpfein den Pappkartons. Ich setzte mich in den Mazda und fuhr los, um mein Leben auf die Theke der Polizei zu legen, Gideon zu beschuldigen, ihn zu verraten, seine Gutgläubigkeit zu hintergehen und ihn und uns zu retten, und um danach wie ein Computer zu sein, dem man die Festplatte entfernt hat. Ich fuhr langsam. Viertel vor zwölf, jemand hupte, ich solle Gas geben, und ich gab ihm ein Zeichen zum Vorbeifahren, ich hatte es nicht eilig, irgendwohin zu kommen. Er überholte mich und bedeutete mir mit dem Stinkefinger, was er von mir hielt, und das reichte mir, ich fuhr an den Straßenrand und weinte. Ein grober Mittelfinger, bei siebzig Stundenkilometern vor mir erhoben, und ich fiel um, als hätte mich das Universum beleidigt. Wäre ich nicht auf dem Weg zur Polizei, um eine Vermisstenanzeige aufzugeben, hätte ich eine lange Reihe von Autos ertragen, die an mir vorbeifahren und mir den verdammten, dreckigen Stinkefinger zeigen, doch in diesem Moment hätte mich eine Feder umgeworfen. Mein Weinen war warm und tröstlich, ein außergewöhnliches Geschenk Gottes, mit einer Hand schlägt er, mit der anderen schenkt er uns endlose Tränen. Nehmt, weint, erfreut euch, ihr braucht nicht zu sparen, es gibt genug für alle. Also sparte ich nicht. Gideon war vor achtundvierzig Stunden und zehn Minuten verschwunden. Es würde nichts passieren, wenn die Polizei es erst nach neunundvierzig Stunden erfuhr. Oder doch? Angenommen, er trocknet aus und die Flüssigkeitsmenge in seinem Körper hält ihn höchstens noch vierzig Minuten am Leben, sie könnten einen Hubschrauber mit einer Rettungsmannschaft losschicken und ihn retten, unter der Bedingung, dass er gerettet werden wollte. Wenn er es nicht will, können sie ihn festbinden und bis morgen aus der Klemme ziehen, er wird sich selbstzusammenschrumpfen lassen, wird seinen Umfang verkleinern, er wird die Gurte lösen und wie ein Stein zur Erde fallen. Jonathan rief wieder an, ich sah seine Nummer auf dem Display, ich hörte das fieberhafte Klingeln, fast sogar das Klopfen seines Herzens, aber ich nahm nicht ab. Amos
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