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Wölfe der Nacht

Wölfe der Nacht

Titel: Wölfe der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benjamin Percy
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Tunnel führt zu einer Kammer, in der sie schlafen.« Bis zu diesem Punkt hat er gedanken- und gefühllos, beinahe akademisch geklungen, doch als er sagt: »Ich habe Angst«, wird er wieder zwölf und hebt einen langen, geraden Ast hoch und untersucht ihn, als sei er unschlüssig, ob er ihn als Spielzeug, mit dem er gegen Bäume schlagen kann, oder als Waffe, als Speer betrachten soll.

PAUL
    Paul folgt dem Bären. Der Pfad führt stetig ansteigend eine Anhöhe hoch, und vor sich sieht er, als fragmentarisches Bild zwischen den Baumwipfeln, eine steile Canyonwand. Der Pfad ist übersät von Spuren und Kothaufen – verziert mit Beerenhäuten –, Hinweise auf ein häufiges Vorbeikommen des Bären, doch Paul trampelt über beides hinweg. An den Dornen der Gelbholzbäume hängen Fellbüschel. Hier und dort sieht ein Stumpf aus, als wäre er in einen Schredder geraten, wurde aufgerissen von Klauen auf der Suche nach Maden. Er kniet sich neben einen hin und starrt in den Wald, als wäre er ein Spiegel, lauscht eine Weile und wartet auf ein Brummen, ein Knacken, irgendein Geräusch, das ihm sagt, dass er nicht allein ist. Nichts. In dem Stumpf entdeckt er in der Höhle eines Spechts einen Vorrat, einige Kiefernsamen und eine Kranbeere. Er puhlt sich die Kranbeere heraus und schiebt sie sich in den Mund, genießt die kleine Süße auf der Zunge, bevor er die Samen ausspuckt und weiterzieht.
    Auf einer Anhöhe wird der Grund eben und die Kiefern weichen einem etwa sieben Meter langen Basaltfeld, das sich in großen und kleinen Brocken aus der Bergflanke gelöst hat wie ein Puzzle, das aus seinem Brett geschüttelt wurde. Dahinter liegt die Höhle mit einer halbmondförmigen Öffnung, so hoch wie Paul und doppelt so breit. Blut führt darauf zu, wie die klebrige Spur einer riesigen Purpurschnecke. Er sucht nach einer Bewegung, sieht aber nur ein kurzes Stück der Höhlenwand, die sich steil nach unten neigt, bevor die Dunkelheit sie verschluckt.
    Der Geruch – ein öliger, schwerer Geruch – hängt in der Luft wie eine torkelnde Präsenz. Er hält sich die Hand vor die Nase, um sich dagegen zu schützen. Dann steht er da, den Blick fest auf die Höhle gerichtet, und wartet, dass eine Entscheidung ihn überkommt. Eine kalte Bö fegt durch das Tal, weht kurzfristig den Geruch von ihm weg und lässt die Kiefern rauschen. Genauso schnell legt sie sich wieder, als hätte der Wald nur einmal tief durchgeatmet.
    Er hebt den rechten Arm über den Kopf und streckt ihn nach oben und lässt ihn wieder sinken und macht dasselbe mit dem linken. Dann dreht er den Kopf nach links und nach rechts, bis es im Nacken hörbar knackt. Vorbereitungen für einen Kampf.
    Es wird nicht sein erster sein. Als er noch ein Teenager war, gab es auf der Deschutes County Fair zwischen den Schießständen und den Tauchbecken und den Pferdeboxen und Schweinekoben auch einen Ring aus Sägespänen mit einem Schild davor, auf dem stand: Bärenringen. In der Mitte des Rings trottete ein großer Schwarzbär mit einem ledernen Maulkorb. Er war an einen Pfahl gekettet. Für einen Dollar konnte man mit ihm ringen. Wenn man ihn zehn Sekunden auf den Boden drückte, gewann man ein Plüschtier, einen Beutel karamellisiertes Popcorn. Paul schaute mehreren Männern zu – Farmarbeitern mit Stiernacken –, die alle versuchten, den Bär zu bezwingen, alle aber schreiend, einige sogar mit Tränen in den Augen, untergingen, als der Bär sich über sie hermachte. Er hatte einen Plan. Er würde in den Ring treten und dem Bären so fest er konnte auf die Schnauze hauen, als wäre er ein Hund oder ein Bulle, Tiere, die zu unterwerfen er gelernt hatte. Er erinnert sich noch gut an die Menge der Leute, die den Ring umstanden und ihn johlend anfeuerten, als er auf den Bär zurannte. Das Tier kauerte sich auf die Hacken, um ihm zu begegnen. Er holte kräftig aus und traf den Bär direkt auf die Nase. Doch der Schlag machte ihn nur wütend. Er stieß ein gequältes Brüllen aus und schlang seine zotteligen Arme um ihn und drückte ihn mit sechshundert Pfund Haaren und Muskeln und Gestank zu Boden. Der Maulkorb drückte gegen sein Gesicht. Er war aus geflochtenem Leder, und er konnte die Zähne sehen, die auf der anderen Seite schnappten, nur einen Zentimeter von seiner Nase entfernt.
    Er lacht über die Erinnerung und fühlt sich ein bisschen tapferer. Aus der Hosentasche zieht er ein Streichholzbriefchen. The Pine Tavern steht in grüner Schrift darauf. Er stellt sich das Jaulen

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