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Wölfe der Nacht

Wölfe der Nacht

Titel: Wölfe der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benjamin Percy
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Thermo-Unterhemd an, dessen Ärmel er über die Ellbogen hochschiebt. Dazu Wollsocken und Browning-Stiefel, die er mit einem Doppelknoten bindet. So fertig angezogen, wirft er sich das Handtuch über die Schulter und kommt auf Justin zu. Er scheint dabei älter zu werden, Fältchen fächern sich von seinen Augen auf und das Gelb kriecht in seine Zähne, als er zur Begrüßung lächelt. Altersflecken sprenkeln seine Haut. Pflaumenfarbene Säcke wölben sich unter seinen Augen. Er sagt nichts, legt Justin nur eine feuchte Hand auf die Schulter. Die Kälte bleibt, auch nachdem er die Hand wieder weggenommen hat. Justin schaudert, als sein Vater durch das taufeuchte Gras davongeht und eine dunkle Spur hinterlässt.
    Boo folgt dem Kreis um das Zelt herum und schnuppert aufgeregt, die Schnauze dicht am Boden. Hin und wieder bleibt er stehen und presst mit wedelndem Schwanz die Schnauze noch tiefer ins Gras. Dann erstarrt er und jault und schaut kurz zum Wald, bevor er sich wieder den unsichtbaren Tentakeln des Geruchs zuwendet, den er wittert.
    »Er hat das vorher schon gemacht.« Justins Vater rubbelt sich Haare und Bart mit dem Handtuch ab, bevor er es über einen Stamm nah am Feuer hängt. »Irgendwas hat sich da gestern Nacht angeschlichen, um ein bisschen zu schnuppern. Oder, Boo?« Er kauert sich neben den Hund und klemmt sich seinen Kopf unter den Arm und küsst ihn auf die Schnauze. »Was riechst du, Boo? Riechst du einen Waschbären? Riechst du ein Opossum? Riechst du den großen, bösen Wolf?«
    Er geht zum Waldrand, der etwa zwanzig Meter entfernt ist. Dort hat er einen roten Leinensack aufgehängt, der aussieht wie eine riesige Wurst. Er enthält ihre Kleidung und ihre Küchenutensilien, alles, was den Geruch von Essen tragen könnte. Am hinteren Ende des Sackes ist ein Henkel, und er hat das Vierzig-Fuß-Seil durchgezogen und einen Laufknoten gebunden, den er festgezogen hat. Dann hat er das freie Ende des Seils über den untersten Ast in etwa sieben Meter Höhe geworfen und daran gezogen, bis der Sack knapp unter dem Ast hing, wie ein gigantischer Kokon. Das freie Ende des Seils hat er um den Stamm gewickelt und mit einem Ankerknoten gesichert, den er jetzt löst und den Sack herunterlässt, bis er mit dem metallischen Klappern der Töpfe und Pfannen und Teller auf den Boden knallt.
    Justins Vater sagt ihm, er soll Wasser für den Kaffee holen. Er zieht den Reißverschluss des Sacks auf und stöbert darin, bis er den Kessel findet und Justin zuwirft, der ihn etwas ungeschickt fängt. Im nahen Wald ist eine kalte Quelle. Daraus sickert ein morastiges Rinnsal, eins von so vielen, die zum Canyonboden rinnen und die South Fork speisen. Inzwischen ist der Dunst fast ganz verschwunden, nur ein paar Fetzen umringen noch die Bäume und verwirbeln unter seinen Schritten. Ein Schwarm winziger, brauner Frösche springt davon, als er sich der Quelle nähert.
    Da ist sie – etwa so groß wie eine Badewanne – umgeben von Weiden und sonnenfleckigen Steinen. Und direkt daneben ist ein Paar zerlumpter Stiefel, der eine liegt flach am Boden, der andere zeigt himmelwärts, wie ein Grabstein. Er ist stehen geblieben, ohne es zu bemerken. Jetzt macht er ein paar zögerliche Schritte vorwärts, um hinter die Stiefel sehen zu können, wo ein verstreutes Gewirr aus Knochen und Knorpeln den ungefähren Umriss eines Körpers bildet.
    Der Kessel rutscht ihm aus der Hand und fällt scheppernd auf den Waldboden.
    Der Mann ist schon lange tot. Bis jetzt kann Justin ihn nur anhand seiner Kleidung als Mann identifizieren, doch ganz sicher ist er sich noch immer nicht. Jeans und Flanellhemd sind zerrissen und liegen als Fetzen herum, als wäre er explodiert und hätte die Schrapnelle seines Körpers im Unkraut verstreut. Die Geier und die Kojoten und die Fliegen und die Würmer haben sich darüber hergemacht und die Haut von den Knochen geleckt. Seine Knochen haben die Farbe von altem Papier, ein gelbliches Schwarz, die Oberfläche ist gefurcht von nagenden Zähnen. Justin stellt sich vor, wie die Kojoten heulten, als sie die Überreste fraßen, und sich um die saftigsten Brocken stritten.
    Seine dunkel gewordenen Rippen sehen aus wie die nach innen gebogenen Beine einer toten Spinne. Fingerhirse wächst durch die Knöchel und wie Haare um seinen Schädel. Er scheint aus der Erde herausgewachsen zu sein und jetzt wieder darin zu verschwinden. Eine Motte landet auf dem Schädel, streckt die Flügel und kostet vom schwarzen Tümpel einer

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