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Wölfe der Nacht

Wölfe der Nacht

Titel: Wölfe der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benjamin Percy
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noch einen Becher ein und rührt mit dem Messer um, obwohl er nichts hineingetan hat, denn er mag ihn lieber schwarz. Er zieht das Messer aus dem Becher, legt es neben sich auf den Stamm und hebt den Becher, um zu trinken.
    Dann reißt er sie aus ihrer trägen Versonnenheit, indem er sich Graham zuwendet und fragt: »Weißt du irgendwas über Waffen?«
    »Eigentlich nicht.« Graham gräbt mit der Stiefelspitze ein Loch in die Erde und schiebt es wieder zu. Nach dem gespannten Ausdruck in seinem Gesicht scheint er eine weitere Lehrstunde zu erwarten.
    Justins Vater trinkt seinen Kaffee aus, stellt den Becher weg, klatscht sich auf die Schenkel und steht auf. »Ich habe da eine Waffe, und ich will, dass du sie dir ansiehst.« Er verschwindet im Zelt und als er wieder auftaucht, hat er einen Karton mit Munition und ein brandneues .30-30 Repetiergewehr mit Unterhebelladung. Es ist aus Walnussholz und blauem Stahl gefertigt. Er setzt sich neben Graham, legt sich das Gewehr quer über die Schenkel und streicht mit den Händen über die gesamte Länge.
    Er erklärt, dass es diese spezielle Waffe, das Modell 94, früher als Modell 83 bekannt, seit 110 Jahren gibt. »Und immer noch eine sehr gute Waffe.« Seine Stimme bekommt etwas Entrüstetes, als er erklärt, dass es Leute gibt, die meinen, die Waffe sei nicht stark genug, solche, die damit auf der Jagd waren und ein Tier entweder verfehlt oder nur verwundet haben und dann sofort auf ein Kaliber .243 oder ein noch größeres umgeschwenkt sind. »Schätze, es ist einfacher, der Waffe die Schuld zu geben, als sich einzugestehen, dass man ein lausiger Schütze ist.« Er klopft auf den Schaft. »Aber diese Waffe funktioniert, und sie funktioniert gut. Es war mein erstes Gewehr. Es war das erste Gewehr deines Vaters.«
    Ein Repetierkarabiner hat etwas Spezielles, sagt er. Das Fleisch schmeckt besser – die Trophäen sehen an der Wand hübscher aus –, wenn man damit jagt. Er steht auf und demonstriert, wie einfach die Waffe sich an die Schulter anschmiegt, ohne dass man lange darüber nachdenken muss. »Siehst du? Man zielt ganz natürlich damit. Es ist leicht. Es ist handlich. Es ist leicht abzufeuern. Es hat nur einen sehr schwachen Rückstoß, aber ziemlich viel Durchschlagskraft.«
    Wenn er von Waffen spricht, bekommt seine Stimme fast etwas Professorales, er erklärt dann ausführlich Details, die seine Zuhörer kaum verstehen können. Die Begriffe, die er verwendet, bedeuten Graham kaum etwas, aber der Junge hört aufmerksam zu und schaut mit einem verzauberten Ausdruck im Gesicht, als wäre das Gewehr ein langes, wohlgeformtes Bein, das in roten High Heels steckt.
    Justins Vater erklärt, dass die Kammer auch andere, stärkere Patronen als die .30-30 aufnehmen kann, etwa die 3.38-55 oder die .32 Spezial, aber dass er die 150 Gran X-Patrone mit Flachspitze bevorzugt. Sie hat eine tiefe Hohlspitze, die sich mit .30-30-Geschwindigkeit ausdehnen kann. »Lass dir eins sagen«, erklärt er, als er den Munitionskarton öffnet und das Magazin mit der Hand belädt. »Die hat einen Durchschlag, dass einem die Spucke wegbleibt.« Die Patronen gleiten hinein und der Verschluss klickt mit einem öligen Schnappen ein, wie Zähne, die aufeinanderbeißen.
    Er hält sie Graham hin, und Graham steht auf, leckt sich die Lippen und wischt sich die Hände an den Knien, bevor er sie nimmt. Die Waffe ist ihm fremd – schenkt ihm aber augenblicklich Selbstvertrauen. Justin sieht das an den geweiteten Augen, der aufrechteren Haltung. Justin denkt an das erste Mal, als er eine Waffe in der Hand hielt. Das Gefühl – die Macht, das lauernde Vergnügen, wie gut das kalte Metall in seine warme Hand passte – bleibt unvergesslich.
    »Gefällt sie dir?«, fragt Justins Vater.
    »Ja.«
    »Gut.« Die Haut um seine Augen runzelt sich wie Seidenpapier. »Denn ich habe sie für dich gekauft.«
    Graham sagt: »Nein«, und eine Sekunde später auch Justin, allerdings mit anderer Betonung.
    Graham dreht sich ihm mit der Waffe fest in der Hand zu. »Komm, Dad. Sei doch nicht so ein –« Er sieht Justin selbstbewusst in die Augen, sein Blick ist hässlich und machtvoll. Justin ist von seiner Reaktion überrascht. Er gehört zu den Kindern, die Gemüse essen, wenn man es ihnen sagt, die den Fernseher abschalten, wenn ihre Sendung zu Ende ist, die nie mehr verlangen, als man ihnen zugestanden hat. Nun eine solche Herausforderung zu hören, wirft Justin kurz aus dem Gleichgewicht.
    »Sei nicht so ein was?«,

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