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Wölfe der Nacht

Wölfe der Nacht

Titel: Wölfe der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benjamin Percy
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Mehrere Tipis sind aufgeschlitzt und aufgerissen. Überall liegen Leichen, darunter sein Vater und seine Mutter, mit faustgroßen Löchern in Brust und Bauch. Dann entdeckt er die Soldaten. Sie tragen graue Hosen und blaue Röcke, die sich hinten gabeln wie der Schwanz des Teufels. Es sind fünf, und sie stehen in einem Halbkreis, drehen sich Zigaretten und lachen leise.
    Das sind die weißen Männer, von denen er schon Gerüchte gehört, an die er aber nie wirklich geglaubt hat. Diejenigen, die Wapitis und Hirsche nur wegen der Geweihe töten, sie absägen und die Kadaver einfach liegen lassen, damit sie verfaulen. Hier haben sie alle getötet und ihre Proviantbeutel und Satteltaschen mit getrocknetem Wildbret und Knochen-Halsketten und schön geschnitzten Pfeifen und Obsidianmessern und Pfeilspitzen gefüllt. Alles, was hübsch glänzt oder verspricht, ihnen die Bäuche zu füllen, nehmen sie mit. Angeführt werden sie von einem Mann mit Hakennase, der einen weißen Hut trägt.
    In diesem Augenblick fällt Red Morning das Wort ein, das die Kreatur ihm zugeflüstert hat. Töte. Sein Herzschlag passt sich seinem Rhythmus an. Töte.«
    Hier hält Justins Vater kurz inne, um seine Kehle mit einem Schluck Bier zu befeuchten. Sein Gesicht wirkt im Feuerschein rot und hohläugig. Seinen Stecken hat er zu einem Span zusammengeschnippelt. Holzsplitter bedecken seine Oberschenkel.
    Er fährt fort und erzählt ihnen, dass Red Morning die Hände vor dem Mund zu einem Trichter formt und ein Kriegsgeheul ausstößt, die Kehle weit macht und die Zunge vibrieren lässt, so dass seine Stimme den ganzen Canyon ausfüllt, von den Wänden und Bäumen widerhallt, so dass es klingt, als wäre die ganze Welt voller Indianer, die nach den Skalps weißer Männer gieren.
    »Die Soldaten werfen ihre Zigaretten weg und schauen in alle Richtungen. Zuerst scheinen sie kampfbereit zu sein, aber wofür sollen sie kämpfen? Sie haben alles genommen, was es zu nehmen gab. Also springen sie auf ihre Pferde. Als der Mann mit der Hakennase sein Pferd zum Galopp treibt, reißt der Riemen seines Proviantsacks, er rutscht ihm von den Schultern und entleert seinen Inhalt auf die Erde. Das Essen und der Schmuck und die Waffen fallen als kompakte Masse, die in viele Einzelteile zerfällt und zwischen den Hufen seines Pferds rollt und springt. Es stolpert und bockt und wirft ihn aus dem Sattel. Seine Männer reiten noch gute dreißig Meter weiter und bleiben dann zögernd stehen, weil der ganze Canyon widerhallt von Red Mornings Kriegsgeheul.«
    Die Schatten auf dem Gesicht von Justins Vater bewegen sich beim Sprechen. Aber sonst nichts. Das ist das Einzige, was sich bewegt. Sein Körper ist absolut bewegungslos. Sogar seine Stimme ist ein gleichmäßiges Fließen, so langsam, dass man jedes einzelne Wort aus der Luft greifen und untersuchen kann.
    »›Stopp‹, ruft der Mann mit der Hakennase und krabbelt zu seinem Gewehr, das er ebenfalls verloren hat. ›Kommt und helft mir!‹ Er will eben noch einmal nach ihnen rufen, als ein Pfeil seinen Hals trifft und ihm die Stimme nimmt und ihn taumeln lässt. Sein Hut rutscht ihm vom Kopf und saugt einen Blutstrahl auf, der aus seiner Halsschlagader spritzt. Er versucht, sich aufzurichten. Ein zweiter Pfeil verfehlt ihn knapp. Dann kommt ein dritter, er findet sein Ziel und wirft ihn zu Boden.
    Die anderen Männer lassen ihn dort liegen, aber jeder von ihnen findet ebenfalls den Tod, einigen werden die Kehlen aufgeschlitzt, anderen der Schädel mit einem Stein eingeschlagen. Er findet sie alle.« Die Stimme von Justins Vater hebt und senkt sich und wird dann wieder normal. »Und dann häutet er sie, nimmt sie aus und isst ihr Fleisch, bricht ihre Knochen auf und saugt das Mark aus ihnen. Mit jedem Bissen werden seine Haut dunkler und seine Nägel länger, sie wachsen zu langen und scharfen Klauen.«
    Graham lacht und sein Großvater wirft ihm einen strengen Blick zu, bevor er seine Aufmerksamkeit dem dunklen Wald und dem weniger dunklen Himmel zuwendet. »Wenn du durch den Wald gehst und einen Baum mit Kratzern in der Rinde findest?«
    Sie folgen seinem Blick und erwarten beinahe, einen solchen Baum zu sehen. »Der Indianer, der früher Red Morning genannt wurde, war dort und hat Klauen und Zähne geschärft. Er durchstreift den Wald, noch immer rachedurstig, er sucht Männer mit Gewehren, jemanden, den er zur Verantwortung ziehen kann für das, was mit ihm und seiner Familie passiert ist.«
    Graham macht große

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