Wölfe der Nacht
fragt Justin schließlich.
»Na komm, Dad.«
»Na komm, Dad. Nichts.«
Der Blick, den er nun erhält – ein dunkles, bedrohliches Starren –, erinnert ihn stark an seinen Vater. Justin fragt sich, was aus dem blassen Jungen geworden ist, der vor ein paar Minuten noch asthmatisch zitterte. Sein Sohn öffnet den Mund, als wollte er etwas sagen, doch dann scheint er es sich anders zu überlegen und presst die Lippen fest zusammen.
Justin nähert sich seinem Vater, bis er nur einen knappen halben Meter vor ihm steht. »Muss mit dir reden.« Seine Stimme klingt heiser.
»Jetzt?«
»Jetzt sofort.« Justin versucht, ihn zu ziehen – packt ihn an der Schulter, die fest ist wie Holz –, aber sein Vater bewegt sich nur, wenn er sich bewegen will, deshalb lässt Justin ihn los und geht ein paar Schritte vom Lager weg in die Wiese und wartet dort auf ihn. Justin hört seinen Vater zu Graham sagen: »Gib sie mir besser kurz zurück.« Dann geht er, mit dem Gewehr in der Hand, langsam durchs Gras. Unterwegs bückt er sich, um eine Blume zu pflücken und daran zu riechen, bevor er sie wegwirft.
»Weißt du, was du da tust?«, fragt Justin.
»Ich schenke ihm ein Gewehr. Du hattest ein Gewehr, als du in seinem Alter warst.« Er schwenkt den Arm, als läge die Erinnerung an Justin – einen Jungen auf der Jagd – irgendwo da draußen im Wald.
»Ja, aber ich bin nicht du, und er ist nicht ich. Er hat noch keinen Sicherheitskurs für Jäger gemacht. Er hat keine Jagdlizenz. Und –«
»Um Himmels willen. Wann hast du hier draußen zum letzten Mal einen Ranger gesehen?«
»Und?« Justin hebt die Hand, um seinem Vater zu verstehen zu geben, dass er zuhören soll. »Seine Mutter hat ausdrücklich gesagt, dass er nichts schießen darf außer Fotos.«
»Seine Mutter«, näselt Paul. »Dir ist schon klar, dass du durch so was zum Mann geworden bist? Lässt du dich von deiner Frau –«
Sein Vater hat keine Ahnung von den Problemen mit Karen. Er weiß nicht, dass Justin oft auf der Couch schläft, dass Karen oft durch Graham mit ihm spricht, dass Justin sich oft damit begnügt, sie an der Schulter zu berühren, und auch das nur, wenn er meint, er müsse sie beruhigend drücken oder ihr zu verstehen geben will, sie solle beiseitegehen, damit er sich ein Glas aus dem Schrank nehmen kann.
»Hör zu«, sagt Justin. »Vergiss sie. Ich bin derjenige, der die Entscheidung trifft, wann er so weit ist.« Obwohl er sich bemüht, seine Stimme unter Kontrolle zu halten, klingt sie beinahe winselnd, worauf die Aufmerksamkeit in den Augen seines Vaters einem geringschätzig elterlichen Blick weicht. »Du untergräbst meine Autorität, Dad.«
»Du machst dir zu viele Gedanken. Du bist ein nervöser Typ.« Er lächelt und kneift ein Auge zu und zielt auf den Habicht, der über ihnen kreist. Das Sonnenlicht bricht sich im Waffenstahl und erhellt für einen Augenblick diese Seite seines Gesichts. »Peng!« Er gibt Justin die Waffe und sagt: »Wie wär’s, wenn du ihm das Gewehr gibst? Sag, es ist von uns beiden.«
»Dafür ist es ein bisschen zu spät.«
»Trotzdem. Gib du es ihm.«
Er klopft Justin auf die Schulter und geht zum Lager zurück, bleibt aber nach wenigen Schritten stehen und wühlt in seiner Tasche. »Hier. Nimm ein Werthers Original. Dann geht’s dir gleich besser.«
»Danke.« Er nimmt abwesend das Bonbon und wickelt es aus und steckt es sich in den Mund, und erst jetzt fällt ihm wieder ein, dass er Werthers Original überhaupt nicht mag.
Grahams Augen sind hellgrau, beinahe farblos, als er Justin anschaut, der sich nun vor ihm aufbaut. »Was meinst du?«, fragt er und fährt mit dem Daumen über den Kolben der Winchester, erspürt die Maserung des seidig braunen Holzes. »Meinst du, es ist ein Gutes?«
»Ja!« Eifer schleicht sich in Grahams Stimme. »Ich glaube schon.«
Justin betrachtet das Gewehr. Der Lauf ist sechsundsechzig Zentimeter lang und von einem wunderbaren, fast blau schimmernden Schwarz, das Metall liegt kalt in der Hand. Er kontrolliert die Sicherung und wischt einen Fleck von der Mündung, bevor er sie ihm hinhält.
Graham lässt die Waffe einen Augenblick in der Luft hängen und schaut Justin prüfend an. »Dann ist es also okay?«
»Ja. Ich glaube schon. Aber wir wollen deiner Mutter nichts davon sagen. Noch nicht. Okay?«
Er nimmt sie zögerlich mit beiden Händen. Justin hält sie noch einen Augenblick, bevor er sie loslässt. Wie alle Waffen hat auch die Winchester ein überraschendes
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