Wölfe der Nacht
zwischen seinen Stiefeln.
Ein Lachen dringt tief aus der Kehle von Justins Vater. Er legt Graham den Arm um den Hals und drückt zu auf eine Art, die halb Würgegriff und halb Umarmung ist. »Du bist ein guter Junge.«
Justin sieht aus kurzem Abstand zu und bemerkt die rosige Tönung auf der Haut seines Sohns, so anders als seine normale Hautfarbe – das blasse Gelb einer Zwiebel –, die davon kommt, dass er zu viel Zeit im Haus verbringt, auf der Computertastatur herumtippt oder seine Fotos mit Photoshop bearbeitet oder in einem Buch blättert.
Es ist fast übernatürlich, wie unbefangen und behände Graham mit dem Gewehr wirkt. Justin erinnert sich noch gut, wie er in diesem Alter war, an die vielen Stunden, die er im Hinterhof verbrachte, Papierzielscheiben an Bäume tackerte und auf sie schoss, bis seine Schulter sich violett verfärbte. Damals hatte er sich immer bemüht, seinem Vater zu gehorchen, ihn so gut nachzuahmen wie es nur ging, ohne es je ganz zu schaffen, wie eine tapsige Marionette, deren Bewegungen offensichtlich von Holz und Drähten diktiert sind. Graham ist anders. Er ist kein Nachahmer. Er ist ein Schüler. Er lernt, was er wissen muss, indem er Fragen stellt und zuhört, so wie er es jetzt tut – richte das Visier über das Ziel, wenn du hügelaufwärts schießt, halte tief, wenn du hügelabwärts schießt – und Justin fragt sich, was dies für ihn bedeuten könnte, diese Ausbildung, und wie verändert er aus ihr hervorgehen könnte.
Justins Vater sagt: »Siehst du! Und du wolltest es ihm überhaupt nicht geben.« Er freut sich hämisch, als er das sagt. Dann hebt er eine der Patronenhülsen auf und geht zu dem Baum, auf den Graham als Erstes geschossen hat. Ein gelbes Rinnsal Harz tropft aus dem Einschussloch und süßt die Luft. Mit einem Ast gräbt Justins Vater ein Loch in die Erde, gut zehn Zentimeter tief. Er legt die Hülse hinein wie ein Samenkorn. »So. Als Erinnerung an diesen Tag. Wenn wir in zehn Jahren wiederkommen, wird die Hülse noch immer da sein. Sie wird dieselbe sein, aber wir werden anders sein.«
»Gut gemacht, Graham!« Justin lächelt und schaut dann das Gewehr stolz an.
»Es ist ein wirklich gutes Gewehr«, sagt Graham.
»Ja, das ist es.«
»Willst du es mal halten?«, fragt Graham, als wäre sein Vater ein Kind.
»Warum nicht?« Als Justin die Waffe nimmt, ist das Metall heiß, und Justin reißt die Hand herunter zum Kolben und versucht, nicht aufzuschreien.
BRIAN
Als Brian vierzehn war, kam er mit einem blauen Auge von der Schule nach Hause. Es war nicht das erste Mal. Die anderen Jungs nannten ihn Kurzer, Zwerg, Kleinhase, halbe Portion, abgebrochener Riese, und er versuchte es mit einem Achselzucken abzutun, sich von ihnen nicht ärgern zu lassen, aber sie ließen einfach nicht locker, und nach einer Weile konnte er sich dann nicht mehr beherrschen.
Das passierte, kurz nachdem seine Mutter nach Eugene abgehauen war, und in letzter Zeit versuchte sein Vater zu sehr, ein Vater zu sein. Indem er ihm auf den Rücken klopfte. Ihn Kumpel nannte. Lauthals mit ihm über Autos und Angeln und Basketball redete. Als er das blaue Auge sah, fasste er ihn am Kinn, betrachtete ihn eingehend und fragte, was passiert sei. Brian zuckte die Achseln und sagt: »Scheiße eben.« Dann fuhren sie los und kauften Boxhandschuhe, schwarze, damit sein Vater Brian beibringen konnte, wie man Geraden und Haken und Kombinationen schlug.
In ihrem Hinterhof sagte er zu Brian: »Stell dich so hin, als würdest du mit einem Gewehr schießen.« Er stellte einen Fuß vor den anderen. »Es ist dasselbe Prinzip.« Er hob den rechten Handschuh an den Mund und den linken neben die Wange. »Jetzt hoch mit deinen Fäusten. Jetzt geh leicht in die Knie und tänzle auf den Zehen. Jetzt schlag mich.« Brian machte einen Schritt vor und zögerte. »Schlag mich« , befahl sein Vater. »Schlag mich, du Weichei!«
Das war das erste Mal, dass sein Vater ihn mit einem Schimpfnamen bedacht hatte. Brian spürte einen Stich, als er das hörte, und boxte seinen Vater in den Bauch. »Fester! Als würdest du es ernst meinen!« Brian holte mit aller Kraft aus, die er hatte. Sein Vater wich aus und stellte einen Fuß seitlich, so dass Brian darüber stolpern musste. Die Wucht von Brians Schlag zog ihn über den Fuß hinweg, und er lag ausgestreckt auf dem Boden. »Steh auf!« Brian gehorchte, auch wenn er vor Wut fast Tränen in den Augen hatte. »Du boxt wie ein Mädchen. Box, als hättest du Mumm in den
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