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Wölfe der Nacht

Wölfe der Nacht

Titel: Wölfe der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benjamin Percy
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Gewicht – als wäre etwas Großes, ein lebendiges Wesen, darin gefangen. Grahams Arme sinken unter dem Gewicht nach unten. »Klasse!« Er lässt das ss besonders scharf klingen. Und hebt sich sofort das Gewehr an die Schulter und zielt über den Lauf.
    »Aber spiel nicht mit diesem Ding herum. Es ist gefährlich.«
    Justins Vater steht ein paar Schritte hinter ihnen. Als Justin sich zu ihm umdreht, sieht er, dass sein Gesicht sich zu einem Lächeln verzieht. Er zeigt ihm den hochgereckten Daumen, und Justin antwortet darauf mit einem missbilligenden Kopfschütteln, obwohl er gleichzeitig eine gewisse Aufregung für seinen Sohn spürt.
    »Wie wär’s, wenn wir was schießen?«, fragt Justins Vater, und Graham sagt: »Okay« und geht auf ihn zu, um ihm die Waffe zu geben.
    »Warum gibst du mir das Gewehr? Das ist doch deins.«
    »Es ist mein Gewehr«, sagt Graham leise, wie zu sich selbst. Er hält die Winchester an der Hüfte und dreht sich schnell, zeichnet einen silbernen Bogen in die Luft, als er erst auf diesen, dann auf einen anderen Baum zielt, auf die versteckte Bedrohung zwischen ihnen.
    »Komm«, sagt Justins Vater. »Wollen doch mal sehen, was für ein Schütze du bist. Er winkt ihm, und sie gehen gemeinsam auf die Wiese, wo er Graham zeigt, wie man die Sicherung löst, und dann auf eine nahe Kiefer mit einem aufgesprühten X auf dem Stamm zeigt. »Wie wär’s, wenn du darauf –«
    »Moment mal«, sagt Justin, aber sie überhören ihn beide. Das Gewehr sieht so bedrohlich in Grahams Armen aus, wie eine Schlange, die sich jeden Augenblick gegen ihn wenden kann und Löcher reißt, aus denen Blut fließt.
    »Schieß auf diesen Baum«, sagt Justins Vater. »Genau auf das X. Kannst du das?«
    »Das kann ich.« Graham starrt lange durchs Visier, bevor er abdrückt. Jedes andere Geräusch weicht einem ohrenbetäubenden Krachen, das sich Sekundenbruchteile später wieder in der Stille des Canyons verliert. Rechts des Baums spritzt Erde auf, wie Schlamm unter einem Vorschlaghammer.
    »Verdammte Scheiße, ist das laut«, sagt Graham, hält sich die Hand ans Ohr und lacht laut.
    Boo rennt zu der Einschussstelle und starrt gebannt, als würde er erwarten, dass Blut herausquillt. Justins Vater pfeift ihn zurück und stellt sich dann hinter Graham und zeigt ihm die richtige Haltung. »Versuch es noch einmal. Drück dir das Gewehr fester an die Schulter. So. Jetzt schieb die linke Hand vor, aber nicht zu weit. Und nicht den Atem anhalten. Schieß am Ende des Ausatmens.«
    Sie über Waffen reden, sadistisch lachen zu hören – sich zu verhalten, wie Männer sich verhalten sollen – lässt Graham für Justin plötzlich in einem neuen Licht erscheinen, er wirkt reifer als je zuvor, ein kleiner Mann. Aber sollte nicht Justin derjenige sein, der ihn anleitet, der so etwas passieren lässt? Ist nicht er der Lehrer? Mit dem Talent, im Klassenzimmer abwechselnd witzig und streng zu sein und seine Schüler zu inspirieren?
    Wieder macht das Gewehr in Grahams Händen einen Satz, der Knall donnert, breitet sich innerhalb einer Sekunde aus und fällt wieder zusammen, bevor der Nachhall den Canyon entlangrollt –, während auf dem Stamm sich eine weiße fleischige Nelke öffnet, genau in der Mitte des X.
    »Du bist ein Naturtalent«, sagt Justins Vater und klatscht zweimal in die Hände, bevor er Graham seine nächsten Ziele zeigt.
    Er schießt auf einen Stein, so dass der in die Luft springt. Er holt einen Fichtenzapfen von einem hohen Ast. Eine Königskerze versprüht eine Samenwolke. Jede Explosion zertrümmert etwas oder jagt etwas in die Luft. Der stechende Geruch von Schießpulver umwabert sie.
    Nun schaut Justins Vater zu den Traktoren hinüber, die am Rand der Wiese stehen. In diesem Augenblick kann Justin durch seine Schädelkalotte und ins Räderwerk seines Hirns sehen, wie er sich überlegt, Graham zu sagen, er solle die Reifen und Scheiben kaputtschießen. Stattdessen deutet er auf einen Erdklumpen und sagt: »Wie wär’s da-–«
    Verschwunden, bevor er den Gedanken beenden kann. Er ballt eine Faust und drückt sie sich schützend an die Brust, als hätte Graham versucht, auf sein Herz zu schießen. »O Mann.«
    Er holt eine Elster von einem Ast, und ihre Flügel öffnen und schließen sich wie eine schwarze Hand. Er schießt auf ein Murmeltier, und es läuft noch ein paar Schritte, während aus beiden Flanken Blut quillt. Zwischen den Schüssen drückt er den Ladehebel durch, und die rauchenden Hülsen landen

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