Wölfe der Nacht
Blick zuwirft und aufsteht und sich Erdnussbrösel von den Händen klopft und sich sein Gewehr wieder über die Schulter hängt und auf dem Pfad weitergeht, ohne sich umzuschauen, um zu sehen, ob sie ihm folgen, weil er weiß, dass sie es tun werden.
Vor nicht allzu langer Zeit brannte auf diesem Plateau ein kleines Feuer, das die Baumspitzen scharf und schwarz machte wie kranke Reißzähne. Als Justin eine Kiefer streift, klebt ihr Schatten an ihm. Boo rennt hin und her, wirbelt schwarzen Staub hoch und schnuppert an unsichtbaren Tentakeln von Düften. Und dann haben sie, als wären sie von einem Zimmer ins nächste getreten, den verkohlten Teil des Walds hinter sich und gehen wieder im Schatten der rotrindigen Gold- und Drehkiefern.
Aus der Canyonwand ragt ein Basaltvorsprung, und sein Vater klettert darauf. Weit unter ihm steigen von Stellen, die von der Sonne noch nicht erwärmt sind, Dämpfe in die Höhe und betasten die Luft. Die Bäume dort unten erscheinen so dicht gedrängt, dass der Fluss, der zwischen ihnen einen silbernen Pfad beschreibt, kaum zu sehen ist. Sein Vater hustet etwas aus der Lunge hoch und spuckt es über den Rand und schaut dem Klumpen nach und lacht leise.
»Komm weg von dort! Dad!«
Wie aufs Stichwort stößt sein Stiefel gegen einen Stein. Er stolpert zur Kante, reißt dann den Körper nach hinten und findet sein Gleichgewicht wieder. Er schreit nicht auf. Er weicht nicht von der Kante zurück. Er räuspert sich einfach und hebt das Gewehr an die Schulter, um durchs Zielfernrohr in den Canyon unter ihm zu spähen. Er ist so natürlich und furchtlos, wie er da lässig am Rand eines siebzig Meter tiefen Abgrunds steht und durch sein Fernrohr schaut und die großen Hirsche verflucht, weil sie sich vor ihm verstecken, die gottverdammten Feiglinge.
»Würdest du bitte von da wegkommen?«, sagt Justin. »Dad?«
»Warum?«
»Weil du mich nervös machst. Und weil es da drüben eine bessere Stelle gibt. Justin deutet auf einen schattigen Platz ganz in der Nähe, eine Ansammlung von Felsbrocken, die, mit ei nem gewissen Abstand dazwischen, in etwa in einem Halb kreis stehen. Auf diesen Felsen könnten sie ihre Gewehre abstützen. »Wie wär’s, wenn wir da rübergehen? Bitte.«
Manchmal wirkt es so, als wäre die Vorstellung, im Bett zu sterben, das Einzige, was seinem Vater Angst macht. Er akzeptiert seufzend, was Justin gesagt hat, verlässt den Vorsprung und marschiert auf die Felsbrocken zu, wo er sagt, als wäre es seine Entdeckung: »Na, das ist aber eine gute Stelle.«
In der nächsten Stunde kauern sie hinter den Felsen, stützen ihre Gewehre darauf und spähen durch ihre Visiere hinunter zum Canyonboden. Hin und wieder schaut Justin kurz zu seinem Sohn, schärft ihm ein, dass er vorsichtig sein und den Finger nur um den Abzug legen soll, wenn er wirklich schießen will. »Schau ich so blöd aus?«, fragt er Justin, und Justin antwortet: »Nein. Du schaust wie zwölf aus.«
Er denkt daran, wie er vor so vielen Jahren mit Karen im Bett lag, beide nackt und in Mondlicht getaucht. Zu der Zeit war sie im siebten Monat schwanger, und sie beide atmeten schwer, da sie sich eben geliebt hatten. Noch immer in ihr schmiegte er sich an ihren Rücken. Mit einer Hand umfasste er ihre geschwollene Brust, und sie ergriff sie und führte sie hinunter zu ihrem Bauch. »Das Baby«, sagte sie. Er spürte eine Bewegung unter seiner Hand und stellte sich vor, dass das Baby in ihr schwebte, in einem wassergefüllten Beutel, gegen den er mit winzigen Händen und Füßen drückte. Er war kein religiöser Mann, aber in der Dunkelheit, während das Baby sich bewegte, und er noch die Wärme des Sex durch seine Adern strömen spürte, sprach er ein Gebet für seinen Sohn. Er betete, dass ihm nie etwas zustoßen möge, dass er aufwachsen möge zu einem glücklichen, gesunden Mann. Er hofft, dass das Gebet irgendwie in Grahams Knochen und Blut eingedrungen ist, als hätte Karen etwas zu sich genommen, dessen Nährstoffe aufgebrochen und durch die Nabelschnur an ihn weitergegeben wurden und ihm weiterhelfen, auch jetzt noch.
Die Sonne zieht ihre flache Bahn über den Himmel und wirft ihr Licht jetzt in einem solchen Winkel in den Canyon, dass die Westseite in strahlend gelbes Licht getaucht ist, während der Osten dunkel ist wie die Nacht. Durch sein Visier entdeckt Justin in einer der Lichtsäulen zwischen den Schatten der Bäume einen Bock, dessen Farbe so perfekt mit dem Gestein und der Erde verschmilzt,
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