Wölfe und Lämmer: Kriminalroman (German Edition)
Wölfe am Stadtrand, wie Füchse. Und es stört niemanden. Wölfe sind anpassungsfähig, sonst wären sie schon ausgestorben. Die Gesellschaft muß ihnen nur eine Chance lassen. Aber ich hege die Hoffnung, daß es inzwischen eine Lobby für sie gibt. Weißt du noch, wie vor etwa zwei Jahren dieser Gehegewolf »Bärbel« in der Nähe von Hildesheim erschossen wurde? Ich habe dir die Artikel geschickt. Die gesamte deutsche Presse hat den Jäger angefeindet.
Es wird viel Aufruhr geben, viel diskutiert werden, Jäger gegen Tierschützer, Schafzücher und Hotelbesitzer gegen Naturschützer … Aber diesmal wird es nicht ein Wolf sein, sondern …
Jemand hämmerte gegen die Innentür. Seufzend stand Klara auf. Es war Robin. Sie hatte ihm gestern abend den Schlüssel zu ihrer Wohnung abgenommen. Daraufhin hatte er den Gekränkten gespielt.
Klara wollte ihn nicht hereinbitten, aber darum schien es ihm gar nicht zu gehen. In seinen Augen flackerte die Panik des Süchtigen: »Hast du die Zeitungen?«
»Nein.«
»Sie sind nicht da.«
Das war im Winter zweimal vorgekommen, als die Zufahrt so mit Schnee verweht war, daß der Bote nicht durchgekommen war. Aber jetzt, im Frühjahr?
»Vielleicht hat Barbara sie mitgenommen.«
»Hannes ist doch gar nicht da, oder?«
Fünf Zeitungen steckten jeden Morgen in den für sie vorgesehenen Plastikröhren am Tor. Die Süddeutsche , die FAZ , das Hamburger Abendblatt , die Hannoversche Allgemeine und die Hannoversche Neue Presse. Letztere nahm sich Barbara zum Frühstück vor, Robin las den Rest, und die eine oder andere auch Hannes, wenn er da war. Robin mißfiel es, den Zeitungen hinterherrennen zu müssen, wenn Hannes zu Hause war. Aber er konnte wenig dagegen sagen, denn Hannes finanzierte diesen Luxus.
»Was weiß ich«, schnaubte Klara.
Robin verzog sich wieder. Klara wandte sich erneut dem Bildschirm zu, aber sie schrieb die E-Mail nicht gleich zu Ende. Sie hielt den warmen Milchkaffee in beiden Händen und grübelte.
Manche Menschen, dachte sie, dürften sich nie begegnen. Zum Beispiel sie und Robin. Sie schadeten einander nur. Keiner hatte im Grunde Verständnis für die Leidenschaften des anderen. Als Klara Robin kennengelernt hatte, war sie dem Irrglauben erlegen, kreative Menschen seien einfühlsam. Robin war das ganz und gar nicht, wie sie inzwischen wußte. Seine Gefühlswelt bestand zum größten Teil aus verletzter Eitelkeit und Selbstmitleid, mit einer Prise Menschenverachtung. Und mit der Kreativität war das auch so eine Sache. Sein großer Roman. Sie war sicher, daß davon noch nicht eine Zeile existierte, weder auf der Festplatte des PC, noch in seinem Kopf. Er verplemperte seine Zeit mit Zeitunglesen und Computerspielen. Ersteres tat er, wie er sagte, für Recherchen und zur geistigen Anregung. Letzteres diente der Erholung von der Recherche und der Beruhigung des aufgewühlten Geistes. Für seinen Lebensunterhalt schrieb er hin und wieder unter dem schamhaften Pseudonym Robert Klamm Serienfolgen für Vorabendserien, und selbst diesen Job verdankte er nur Hannes. Ständig klagte er, diese Lohnschreiberei hielte ihn vom künstlerischen Schaffen ab. Vor zwei Jahren war Klara bereits entschlossen gewesen die Beziehung mit ihm zu beenden, als seine Eltern verunglückt waren. Sie war geblieben. Tatsächlich war ihre Beziehung danach intensiver geworden, allerdings hatte Klara den Verdacht, daß sie von der Geliebten zur Ersatzmutter mutiert war. Als eine Kollegin vom Institut sie zu einem Tango-Workshop überredete, war sie dort Mario begegnet. Bei ihm hatte sie die verlorengegangene Leidenschaft wiedergefunden, und da Mario durch Zufall nur zwei Straßen von Robin entfernt wohnte, fügte sich die Affäre reibungslos in ihr Leben ein. Dann kam Hannes mit seiner Idee, den alten Gutshof zu sanieren und eine kleine Landkommune zu bilden. Zuerst hatte Klara keinerlei Interesse daran gehabt. Sie wäre zu Robin nach Linden gezogen, wenn er sie gefragt hätte, aber auf’s Land? Schon wieder? Nach einer Kindheit auf einem Gut bei Celle, dem Internat am Bodensee und den Jahren in Finnland hatte sie gerade erst Gefallen am Leben in der Stadt gefunden. Zur dieser Zeit arbeitete Klara neben ihrer Tätigkeit im Institut an einem Artikel über Wölfe für ein naturwissenschaftliches Magazin. Bei ihren Recherchen war sie in ein Internetforum für Wolffans geraten. Über dieses Forum hatte sich ein intensiver E-Mail-Kontakt zu einem Menschen namens Michael Trenz angebahnt. Und
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