Wölfe und Lämmer: Kriminalroman (German Edition)
fühlen. Oder daß sie andere Tiere nur erlegen, wenn diese schwach sind oder sich nicht wehren können. Nun wußte Jonas Bescheid und seine Angst vor dem Wolf schien überwunden. Dafür wollte er jetzt ständig seinen Vater in den Wald zerren.
»Hast du denn gar keine Angst mehr?«
»Nein«, sagte Jonas.
Sein Vater seufzte.
»Wir müssen leise sein und vielleicht ganz lange warten, bis wir einen Wolf sehen.«
»Ich glaube nicht, daß wir einen sehen werden, Jonas.«
»Dann müssen wir uns eben verstecken. Auf einem Hochsitz.«
»Aber Wölfe wandern doch. Sie legen sehr weite Strecken zurück.«
»Aber wenn es ihnen irgendwo gefällt und sie genug zu fressen haben, bleiben sie auch eine Weile da. Oder wenn sie Junge kriegen.«
»Ah, ja.«
»Also, wann gehen wir in den Wald?«
»Bald mal.«
»Versprochen?«
»Meinetwegen«, seufzte der Geplagte. Warum konnte sein Sohn keine feindlichen Söldner killen oder Galaxien erobern, wie andere Jungs auch?
»Sie hat den Kleinen zweimal die Woche abgeholt, wenn die Mutter arbeiten war. Dabei haben wir ab und zu ein paar Worte gewechselt. Vom Rest der Familie kenne ich nur die Mutter. Sie hat in einem Friseursalon ausgeholfen. Sie heißen Dilmac.«
»Was sind das für Leute?« fragte Robin. »So richtige Kopftuchtürken?«
»Im Gegenteil. Die Mutter war elegant angezogen, und Nasrin war immer schon am hellen Tag geschminkt, als ginge es in die Disko. Sie trug normale Teenieklamotten, ihr wißt schon, das Zeug aus den Fetzenläden.«
»War nicht auch die Rede von einem älteren Bruder?« wollte Klara wissen.
»Ja, aber den habe ich nie zu Gesicht bekommen. Den Vater auch nicht.«
»Vor dem Bruder scheint sie am meisten Angst zu haben«, sagte Robin.
»Du mußt es ja wissen«, stichelte Klara.
»Wovon leben sie?« wollte Hannes wissen.
»Keine Ahnung.«
»Import – Export?« schlug Robin vor.
Kichern, Geschirrklappern. Es war Sonntag, sie hatten sich bei Klara zum Frühstück getroffen.
»Ich verstehe das nicht«, hörte Nasrin Klara sagen. Sie preßte sich etwas fester an die warmen Backsteine der Hauswand unterhalb des mückenvergitterten Fensters der Speisekammer. Jetzt, wo keine Nachtfröste mehr drohten, stand es stets offen.
»Sie haben das Mädchen doch nicht aufs Gymnasium geschickt, um sie nach Hinterpfuiteufel zu verheiraten. Das paßt doch nicht zusammen.«
»Wie im Mittelalter!« empörte sich Barbara.
»Von diesen Gepflogenheiten haben wir zu wenig Ahnung«, meldete sich erneut Hannes zu Wort. »Vielleicht hat das ganze in deren Augen schon eine gewisse Logik. Die Frage ist doch aber, was wir jetzt machen.«
Klara sagte: »Mein Vorschlag ist, sie dazu zu bewegen, zu einer dieser Beratungsstellen zu gehen. Die können sie in einem Frauenhaus unterbringen.«
»Das wird sie nicht tun«, sagte Barbara. »Das würde ich in ihrer Situation auch nicht machen. Zumindest nicht in Hannover. Da leben zwanzigtausend Türken, die kennen sich doch irgendwie alle. Irgendeiner weiß sicher, wo das Frauenhaus ist.«
»Sie können sie doch in eine andere Stadt bringen.«
»Und warum helfen wir ihr nicht? Hier ist doch das ideale Versteck für sie.«
»Robin, der Sozialromantiker«, höhnte Klara.
Barbara hielt dagegen: »Sie hat angeboten, hier zu arbeiten. Als eine Art Hausmädchen. Daß sie kochen kann, habt ihr ja gesehen, und jetzt, wo ich wieder Arbeit habe …«
»Wie praktisch«, bemerkte Robin.
»Ist es besser für sie, in einem Frauenhaus rumzuhängen?« entgegnete Barbara heftig. »Am Ende landet sie in einem Puff oder bei einem Zuhälter.«
»Nicht übertreiben«, bremste Klara.
»Das ist nicht ganz von der Hand zu weisen«, sagte Hannes ruhig. »Ich habe genug solcher Fälle mitbekommen.«
»Wir wollen sie nicht ausnutzen. Hannes und ich würden sie ja bezahlen.«
»Man gönnt sich ja sonst nichts«, sagte Klara.
»Kapiert ihr nicht, worum es geht?« ereiferte sich Robin. »Ein türkisches Mädchen hat sich geweigert, den Mann zu heiraten, den ihre Familie für sie ausgesucht hat. Die sind jetzt in ihrer verdammten Scheiß-Ehre gekränkt. Die müssen sie umbringen.«
»So was passiert immer wieder«, bestätigte Barbara eifrig. »Das kannst du oft genug in der Zeitung lesen, und neulich kam es auch im Fernsehen.«
»Und was im Fernsehen kommt, ist die reine Wahrheit«, höhnte Klara.
»Ist noch Kaffee da?« fragte Hannes.
»Warum können wir das Ganze nicht zeitlich befristen?« schlug Robin vor. »Wir können sie für zwei oder
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